Traugott Giesen Kolumne 09.10.1999 aus Hamburger Morgenpost
Will wollen
Ein großer Entdecker hat, als man ihn einmal befragte, wie er
es anstelle, daß ihm soviel Neues eingefallen sei, geantwortet: Indem
ich unablässig daran dachte. So einfach ist das. Wir müssen nur
kräftig wollen, müssen kräftig begehren, was uns fehlt.
Das sagt schon Jesus: �Bittet, suchet, klopfet an! Und wenn dir einer die
Notration nicht gibt aus Mitleid, dann gibt er sie dir um vor deinem Jammern
Ruhe zu haben.�
Um reinzukommen, muß man klingeln. Wollen ist nötig, anders
als bei den Tieren. Die Löwen haben Jagdtrieb, die Bienen Sammeltrieb.
Der Mensch hat auch Triebe, aber nur in Maßen, damit Platz ist für
Wollen und Nichtwollen. Uns ist ein Stück freier Wille eingeräumt.
Wir dürfen uns das Leben ein Stück weit nach unsern Wünschen
einrichten. Aber dazu müssen wir wollen, was das Zeug hält.
Erspüren, was dein Ding ist, das ist schon die halbe Miete. Dann
verabredest du dich nicht mit dem Menschen, der dir schadet; beziehst nicht
die Wohnung, gegen die du sofort Abneigung spürtest. Viele hätten
längst ihren Traumberuf, wenn sie ihrem Willen folgten. Aber gerade
im Beruf kommen wir über faules Meinen und Mögen und Abfinden
und Gute-Miene-machen oft nicht hinaus. Dabei haben wir doch das Recht,
unser Glück zu betreiben. Und es gibt schon genug hinderliche Umstände
und Grenzen der Begabung. Picasso konnte nur einer sein. Denn �Kunst kommt
von Können, käme es von Wollen, hieße es Wulst� (Nietzsche).
Auch erstehen die entscheidenden Taten meist nicht aus klarem Willen. �Ein
Mensch wird beleidigt, und macht eine große Erfindung� (Musil); ein
Mensch versäumt seinen Zug und trifft den Menschen fürs Leben.
Um so deutlicher sollen wir erwarten, was wir wünschen, sollen
uns schmücken für den Unverhofften, sollen den Weg ebnen für
die Glückskugel. Auch der Zufall möchte willkommen geheißen
sein. Und erst recht dürfen wir nicht dem Schicksal überlassen,
was von unserm Willen abhängt. Und das Glück im Beruf hängt
enorm von unserm Willen ab.
Wissen, was du willst, und daraus eine bezahlte Arbeit machen � das
wär�s. Du mußt rauskriegen, wozu du neigst, wo dir Beständigsein
leicht fällt, wobei du Ehrgeiz brennen fühlst. Redest du gern
am Telefon, dann such dir ein Call-Center; spürst du gern Schicksalen
nach, dann werde Detektiv; liebst du Kinder, sei welchen gut. Kaufst du
zu gerne ein, dann werde Testkäufer; läßt du dich gern
von der Sonne lieben, dann such dir was in der Natur. Bist du gern fürsorglich,
dann übernimm Verantwortung. Suchst du eine Liebe, dann kellner, wo
Leute deines Typs verkehren. Will wollen. Das dir Wichtige betreibe energisch,
heute, jetzt.