Traugott Giesen Kolumne 07.08.1999 aus Hamburger Morgenpost
Sonntags möglichst wenig Pflichten
Eine der frühsten sozialen Leistungen der Menschheit ist das Sabbatgebot.
Es bescherte Mensch und Lasttier einen arbeitsfreien Tag. Auch der �Fremdling�,
der Andersgläubige war vom Arbeiten losgesprochen, zugunsten seines
Innenlebens.
Natürlich dachte man sich früher auch einen Herrgott, der
ungeteilte Aufmerksamkeit wollte, der Gebete und Nachdenken und feierliche
Gottesdienste begehrte. Aber der siebte Tag sollte nie nur religiöse
Pflicht sein. Der Mensch tut was für sich, wenn er Zeit für Gott
hat. Der ist ja als Herz aller Dinge auch meine und deine Mitte. �Am letzten
Kapitel der Weltentwicklung, bildlich gesprochen: am siebten Tag, ruhte
Gott von allen seinen Werken� � ist der Grund, warum auch der Mensch nach
sechs Tagen Maloche dann ruhen soll. Die Sabbatruhe bzw. die Sonntagsheiligung
ist ein Freispruch, ein Geschenk vom Zeitgeber und Taktschläger und
Lebenszuteiler an seine Schöpfung.
So viele wie möglich sollen am selben Tag sich privat fühlen,
und möglichst wenig müssen, jedenfalls an diesem Tag keinem andern
Menschen zu Willen sein. Klar, die moderne arbeitsteilige Gesellschaft
braucht auch sonntags Menschen im Notdienst, Menschen, die andere versorgen,
befördern, unterhalten, pflegen, retten. Aber was tun wir uns an,
wenn wir immer mehr Alltägliches auf den Sonntag packen?
Klar, daß es irgendwo Eßbares zu kaufen geben muß
und für vergeßliche Raucher Automaten, damit sie ihr Quantum
endlich voll kriegen. Aber warum wir sonntags Brötchen brauchen, ist
schon eine Frage. Ist es den Bäckern ein Fortschritt, daß sie
jetzt sieben Tage auf den Beinen sind für die Kunden? Wenn die einen
aufhaben, müssen die andern nachziehen � sonst gibt�s Gerede: �der
hat es wohl nicht mehr nötig� und so. Darum war die generelle Regelung
ja auch Schutz.
Manchen mag das ausgiebige Frühstück mit frischen Brötchen,
frischer Zeitung die Krönung der Woche sein, Symbol der Freiheit und
des eigenzentrierten Zeitbudgets. Aber es ist erkauft durch Dienen anderer
� doch wer merkt das?
Wenn Shoppengehen für viele die letzte große Freiheit wäre,
dann ist der Damm der Feiertagsruhe nicht zu halten. Per Gesetz läßt
sich nur regeln, was im Prinzip (fast) allen einleuchtet. Aber noch sind
viel mehr Menschen dankbar über einen Sonntag, der noch Alternative
zum Alltag ist; und darum Sonntag � ein Tag, an dem wir nichts müssen;
auch nicht Einkaufen, nur weil irgendwo offen ist. Ein Sonntagsbrötchen
kann von ferne noch Dank in uns entwickeln, aber alle Läden auf? Wir
würden uns zurücksehnen nach der (schon genügend gestörten)
Ruhe des siebten Tages � aber dann wüßte keiner mehr davon,
wir glücklichen Idioten.