Traugott Giesen Kolumne 29.05.1999 aus Hamburger Morgenpost
Eigentum verpflichtet. Wozu, wieso?
Einen Dank wert sind fünfzig Jahre Grundgesetz. Es ist Basis aller
weiteren Gesetzgebung. Und da der meiste Streit um Eigentum entbrennt,
sollte Artikel 14 mal bedacht sein: "Eigentum und Erbrecht werden gewährleistet.
Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohl der Allgemeinheit
dienen."
Besitzen wollen gehört zum Menschen. Aus dem Tierreich mitgegeben
ist der Trieb nach eigenem Revier und dieses zu sichern. Wir müssen
Nahrung erbeuten und den Nachwuchs versorgen, mich und Nächste schützen.
Darum brauchen wir Werkzeug, Vorrat, Dach überm Kopf, dies und das;
auch Überflüssiges. Und alles in Reichweite haben wollen und
ungefragt darüber verfügen können, also mir gehorsam soll
es sein � im alten Wort "gehören" steckt "gehorchen"!
Aber welches Maß an Eigentum reicht, mir die Erfüllung meiner
Wünsche sicherzustellen? Genug ist nie genug. Doch ich muß den
Mitmenschen helfen, daß sie auch was haben. Sonst können sie
Meins mir nicht lassen. Kein hungriger Mensch kann verpflichtet werden,
fremdes Eigentum zu achten.
Eigenartig, wie wir Menschen doch schicksalhaft zusammengeflochten
sind. Wir müssen einander nützen. Wir sind doch in eine Welt
gesetzt. Luft, Wasser ist unser aller. Wie will einer für sich flüssig
durch den Verkehr kommen? Wie soll er im Unfall gerettet werden, wenn nicht
der allgemeine Rettungsdienst taugt. Schulbildung für alle ist doch
in eines jeden Interesse.
Je mehr dir anvertraut ist, um so mehr wird von dir erwartet � sagt
schon Jesus, der ja das Verwandtsein aller besiegelt. Was uns letztlich
verantwortlich macht auch für anderer Menschen Klarkommen ist, daß
wir zusammengehören. Aus einer Quelle fließt alle Begabung,
Gesundheit, aller Fleiß, alle Zeit, die Natur. Letztlich kann keiner
für sein Glück allein, wir arbeiten alle einander zu, lernen
von einander. Wir haben teil an einem Strom Glaubensmut, der sich auch
niederschlägt in wirtschaftlicher Einschätzung. Was Unternehmen
wert scheinen, wird an der Börse ermittelt. Wie aber kann man die
in den Firmen Arbeitenden an den Gewinnen angemessen beteiligen � wenn
die Wettbewerbsfähigkeit in dem Maße abnehmen sollte, wie der
Lohnanteil an den Produktionskosten zunimmt? Das ist nur ein Problem.
Und zum Eigentum, das verpflichtet, zählt doch alles Vermögen.
Also was wir vermögen, das verpflichtet. Verfüge ich über
viel Zeit, weil finanziell gesorgt ist, dann sollte ich dem Ruf ins Ehrenamt
schon folgen. Hast du Wissen, mußt du es loswerden. Kannst du singen,
dann geh in einen Chor. Hast du eine Nase für Geld, dann hilf denen,
die es brauchen, dranzukommen. Jeder muß dem Leben Seins geben, damit
es gedeiht.