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Traugott Giesen Kolumne 17.10.1998 aus Hamburger Morgenpost

Schenk Zutrauen

Ein Freund schwärmte von seiner neuen Arbeitsstelle: �Spannende Leute, kreatives Team; vor allem: sie trauen mir nach drei Wochen mehr zu, als bei der vorigen Stelle nach fünf Jahren. Und stell dir vor. Ich kann�s. Ich kann es, weil sie�s mir zutrauen.�
Schon eigenartig: Unser Können hängt sehr an der Einschätzung anderer. Die Anderen sind unsere Trainer, Vorbilder, unsere Kritiker, Gegner, Bedroher � beides. Sie können uns so intensiv auf die Beine starren, ob wir nicht stolpern, daß wir ganz sicher stolpern. Sie können uns auf den Mund stieren, bis wir uns verplappern. Der Fahrschulprüfer kann uns völlig verunsichern. Und kann uns auch ruhige Kraft schenken.
Es ist ein mieses Spiel, andere zu schwächen, indem man ihnen ihr Selbstvertrauen wegsaugt. Boxer schmähen einander; Fans stimmen Schlachtengesänge an, die dem Gastverein den Schneid abkaufen; die Werbung will uns auf Zustimmung puschen, auch indem sie anderes mies macht. Mißtrauen säen in das eigene Vermögen, lähmt enorm.
Eltern können dem Kind Pioniere des Glückes werden, wenn sie ihm Zutrauen und Anregung beschaffen. Sie können ihm die Äste des Selbstvertrauens dauerhaft ansägen, wenn sie nur schützen und zurückpfeifen und lähmen. Aber es gibt auch ein Alleinlassen, das Verwahrlosung bewirkt. Es macht kalt und frech, nicht gemocht zu sein. � Dank an Menschen, die unerschrocken sich hinhalten dem oft Enttäuschten und dem Häufig-Enttäuscher wieder noch einmal Vertrauen anbieten.
Zutrauen ist eine kostbare Fracht. Sie wächst langsam und ist schnell verspielt. Daß ein Wort zwischen zwei Menschen gilt � legt den Grund für Zusammenleben. Tatsächlich ist viel Verläßlichkeit zwischen uns; wir springen doch bei, wenn einer am Boden liegt; wir glauben doch, daß das Brot des Bäckers nicht vergiftet ist und die neu montierten Räder fest angeschraubt sind.
Schon recht, wenn wir schauen, wem zu trauen sei. Doch Vorschuß an Vertrauen steht am Anfang allen Lebens. Ist nicht jedes Kind, den Eltern in die Arme gelegt, ein Vorschuß an Vertrauen aus den Tiefen der Welt? Ist nicht jedes Kinderwimmern ein Schrei der Gewißheit, gestillt zu werden? Ohne Zutrauen, ohne Hoffnung, ohne Glaube ans Gelingen wäre die Menschheit längst ausgestorben. Jeder hat Zuversicht in ein übergroßes, übermächtiges Wesen, in das er eingebunden ist für ein Bündnis des Gutwerdens.
Auch dein Zutrauen ist Gutwerde-Energie. Setze sie ein, gib sie aus, laß sie nicht verfaulen. Dein Trauen macht den Nächsten gut. Das große Zutrauen möge auch die neue Regierung zu klugen Entscheidungen tragen. Zutrauen bewirkt Edelmut oder kippt schnell.
 


 




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