Traugott Giesen Kolumne 29.11.1997 aus Hamburger Morgenpost
Traumstoff Advent
Wir wären arm dran ohne Vorfreude. Wenn alles so weiterliefe und
nur mal urplötzliche Glücksflashs uns durchzuckten, wären
wir keine Menschen. Es ist doch für uns gerade typisch, daß
wir einen langen Anlauf für Freude brauchen.
Advent nun wendet den Blick nach vorn. Die Zukunft bildet einen Sog.
Die Zeit neigt sich einem Ziel zu. � Überhaupt ein Ziel zu haben schafft
Druck, Elan, Willen, Freude; ja auch Angst, es nicht zu schaffen, ist dabei.
� Eine Prüfung, die erste Verabredung, der Geburtstermin oder das
abschließende Bewerbungsgespräch � wir werden hingezerrt zur
Offenbarung, wer wir denn sind. Wir, jeder für sich steht ja auf dem
Spiel: ich soll mehr ich selbst werden, soll mich zeigen, als tauglich
erweisen, den Erwartungen gewachsen. Diesen Pusch nach vorn in eine neue
Phase brauchen wir, um nicht zu erschlaffen.
Wir brauchen mal eine Verheißung, eine neue Freundschaft, ein
neues Buch, einen neuen Auftrag vom Leben dann und wann. Wir brauchen Anfragen,
ob wir nicht mitmachen wollen; � und wie blühte sie auf, als sie gebeten
wurde den Basar für die Gemeinde mit auszurichten, und sie fand Mitstreiter
und Spender und schuf ein Netzwerk für Verwertung fast aller brauchbaren
Sachen.
Wir wollen gefordert sein. Das Leben soll was davon gehabt haben, daß
ich da war. Darum muß nach Routine was Neues passieren; nach Strecken
der Ruhe soll wieder was los gehen und mich weiterbringen. Und dazu ist
auch Advent erfunden. Advent ist ein Energieschub. Wie Frühlingsanfang
den Biorhythmus auf große Fahrt stellt, so stellt Advent die Seele
auf �hab acht�. Hab acht auf die Liebe und die Freundlichkeit und das Erbarmen.
Mit Christi Geburt kam ja Sinn zur Welt in Gestalt eines bedürftigen
Kindes. Die Menschheit bekam einen Schub, sich des Kleinen und Unscheinbaren
anzunehmen. Und die Zeichen sind zu beachten, die deinen persönlichen
Lebensweg dir weisen. In jeder Krippe liegt ein Kind Gottes, in jeder Haut
steckt ein zitterndes Ich, jeder Augenblick birgt eine Perle, jeder Anruf
kann eine Berufung sein, und du bist auch ein Schatz.
Advent reißt uns den Horizont auf. Im Nebel alltäglicher
Verrichtung öffnet sich eine Lichtschneise der Freude. Vor uns das
Fest des guten Ganzen. Wir bestärken einander, daß Liebe die
Welt trägt. Wir werden Nächsten und Übernächsten zeigen,
daß wir zusammengehören. Angesteckt von dem Krippenkind werden
wir ein Stück mehr Lust zum Frieden bekommen.
Jetzt ist erst mal Arbeit dran, Vorfreude und Arbeit. Fall nicht in
zuviel Druck. Auch dir stell eine Kerze auf, daß dir immer klar bleibe
das große Versprechen: Auch du bist ein Sinn des Lebens. Auch du
ein Grund zur Freude. Auch über dir steht ein guter Stern.