Kolumne 16. Juli 2005
Traugott Giesen Kolumne 16.07.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Warum man einen aufmerksamen Berater braucht
Wie kommt man an sein Selbst? Dass man also innen weiß, was für
einen selbst gut ist. Und wenn es höhere Ziele gibt, für die es
dazusein lohnt, dann soll man selbst sie begehren. Statt willenlose, entkernte,
entselbstete Figur zu werden in einem Spiel, das andere unternehmen. Wie
kann man sich zum Terrorselbstmörder hingeben, überzeugt, damit
sich selbst einen Gefallen zu tun? Dann muß man sich ja für wertlos
halten, es sei denn, man gäbe sich hin für eine höhere Idee?
Aber welche Idee kann höher sein, als daß mein, dein Selbst ist
ewiggültig wunderbar ist; weil geliebt vom Herzen der Welt.
Der Irrsinn, man könne sich bei Gott liebkind machen durch Vernichtung
seiner Feinde- hat Methode. Die Regierung der Christen riefen einst Juden
als Feinde Gottes aus und erklärten es für gute Werke, daß
man sie beraube und umbrächte. Das dumme Volk genoß es, endlich
einen Auftrag zu haben, und noch daran verdienen zu können. Ähnlich
werden wohl die Selbstmordkommandos angelockt: Man erklärt die ohne
Selbst seienden Habenichtse für Kämpfer einer großen Sache,
stolzgeschwellt geben sie ihr Leben hin, um anderwärts als Ehrengarde
aufzuerstehen- und den Angehörigen besorgten sie eine gute Rente.
Wir hier sind anders dran. Unser Selbst ist doch gegründet in der Ahnung,
zu einem guten Ganzen zu gehören; auch daß wir mitbauen an Lebenssinn,
gibt uns Halt. Doch dafür brauchen wir Menschen, denen wir unser
Fühlen und Tun offenbaren können. Und die uns bestärken im
Gutsein, uns helfen auf den richtigen Weg. Wir brauchen einen Nächsten,
der uns von außen anschaut und mit uns berät, wie mein Selbst
wachsen und Flügel bekommen kann. Such dir einen Nächsten mit einem
tiefen Glauben an das Gewolltsein jeden Menschen. Er muß auf deiner
Seite sein, jedenfalls in der Zeit der Beratung. Nicht daß er alles,
was du tust, gut findet- aber er muß dich für gut und nicht für
schlecht halten. Er muß dir Bürge sein, daß du was taugst;
er soll dir entwirren helfen , warum du tust, was du nicht willst. Und mit
dir Strategien entwickeln, wie du tust, was du wirklich innen, für dein
Selbst und von deinem Selbst her will. Verschwiegenheit muß sein. Der,
die Nächste trägt das Wissen mit wie ein Beichtiger, kann es nur
Gott abgeben, sonst keinem. Menschenfreundlich muß der Nächste
sein, Zuchtmeister haben wir genug- die wollen ,daß wir denken wie
sie gedacht haben wollen. Lebensklug muß er sein und zu seinem Selbst
hin durchlässig, daß nichts Menschliches ihm fremd ist.
Keine guten Lehren soll er erteilen, aber sich ähnlicher Erfahrung besinnen
und doch aushalten, keine Vorschläge zu machen. Du kennst ja deine
Lösung, auch wenn du nichts von ihr wissen will.
Der Beratende helfe wie eine Hebamme, daß du dich getraust, dein
Selbstbewusstsein in Gebrauch zu nehmen. Lange leblos gewordene Bilder
können wieder Farbe annehmen und in Schwung bringen. Bricht der Kokon
auf - was Raupe war, wird Schmetterling.