Kolumne 18. Juni 2005 -
Kinder sind nicht Leistung, nicht Besitz der Eltern
Traugott Giesen Kolumne 18.06.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Kinder sind nicht Leistung, nicht Besitz der Eltern
Himmel und Erde
von Traugott Giesen
Wie weit haften Kinder für ihre Eltern? Müssen sie ihr Häuschen belasten? Wann muß die Gesellschaft einspringen? Für ihre Kinder haften Eltern bis hin zur eigenen Armutsgrenze. Dabei müßte die Gesellschaft doch Eltern viel mehr unterstützen; sie ziehen ja unser aller Nachwuchs auf. Wir alle brauchen doch die nächste Generation. Aber wir brauchen auch die altgewordenen Menschen, wir, die Bevölkerung einer Straße, eines Dorfes, einer Stadt, eines Landes, einer Nation, eines Bundes von Nationen, wir, die Menschheit, braucht jedes Glied.
Dies tiefe Herzenswissen kann vom Bauchwissen in der Not - "entweder du oder ich" - angefressen werden. Aber "die Würde des Menschen ist unantastbar" - das ist Gesetz Gottes, des Lebens, des Geistes. Diese Widmung ist jedem Menschen mitgegeben. Wir müssen unsern Nächsten lieben, wie wir selbst in Not geliebt sein wollen; wenigstens gerettet wollen wir werden. Und haben ein Recht darauf, selbst wenn wir so am Herzen geschrumpft wären, daß wir in der Not weggucken.
Das Eltern-Kind-, Kind-Eltern-Verhältnis ist eine Besonderheit innerhalb der allgemeinen Fürsorgepflicht füreinander. Kinder sind nicht Leistung, nicht Schuld, nicht Besitz der Eltern. Dank christlichen Glaubens ist das lange vorbei. Auch als Altgewordene haben wir kein Recht auf unsere Kinder. Der Generationenvertrag - Alt für Jung, Jung für Alt - meint nicht die Blutsbande. Obwohl, ja, wieso haben die Kinder ein Recht auf Erbe? Wieso nimmt der Staat nicht alles? Weil wir den Eltern und Kindern einen besonderen Raum füreinander freihalten, darum.
Doch klar ist jeder selbst für sich in der Pflicht, im Rahmen seiner Kräfte. Dann sollen Ehepaare, Eltern und Kinder helfen. Durch Steuern und Renten sind die Familien und Clans in Verantwortung füreinander und Abhängigkeit voneinander weit beschnitten. Gut die Klarstellung, daß Kinder mit normalem Einkommen sich nicht verschulden müssen zur Pflege ihrer Eltern.
Trotzdem gilt: "Du sollst Vater und Mutter ehren" als die ersten Mitarbeiter Gottes, die ersten Engel, recht und schlecht. Sie haben dich auch nicht gewählt, sondern haben dich bekommen, haben dich nicht erstellt, sondern empfangen. Elternsein ist einem verfügt, und für Eltern zu sorgen auch. Weil sie uns hochbrachten, müssen und dürfen wir sie im Kleinerwerden begleiten. Wir Kinder sind einfach verpflichtet, die Versorgung unserer Eltern im Rahmen unserer Mittel sicherzustellen. Die meisten Altgewordenen leben ja gern allein, zähen Katzen gleich, halten sie auf sich, bewundernswert. Es genügt ihnen, in Rufnähe Beistand zu wissen. Die meisten Pflegebedürftigen leben bei Angehörigen, andere haben Behütung in einem fürsorglichen Haus, es ist viel Liebe in der Welt. Rechtliche Reglementierungen sind nur für den Notfall. Gut, daß sie dann greifen, jenseits individueller Einsicht.