Kolumne 24. Januar 2004 - Mit Lust den Tag zum guten Tag machen
Traugott Giesen Kolumne 24.01.2004 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Wie du die Welt siehst
Wie man in den Wald ruft, so schallt es hinaus. Wie man sich bettet, so liegt
man. Ein fähiger deutscher Botschafter in Israel wurde gefragt, ob er
normal behandelt würde, und sagte: "Ich nehme es für normal, wie
ich behandelt werde." Gräfin Dönhoff hinterließ in einem
ihrer letzten Gespräche: "Ich habe einfach die Gewissheit, dass mein
Schutzengel da ist. Ich glaube, dass die Welt so ist, wie man sie sieht.
Wenn du immerfort Katastrophen erwartest, dann werden sie auch kommen. Wenn
du Vertrauen in bestimmte Dinge hast, gelingen sie auch."
Erstaunlich, dass wir Menschen so viel Spielraum haben, unser Weltbild
mitzuentwerfen. Die Früheren waren zementiert in Geschlechter-,
Völker-, Berufsrollen. Jahrtausende bestellte der Sohn den Acker, wie
der Vater und der, wie er es vom Großvater gelernt hatte. Ungeheuerlich
die Umbrüche in den letzten Generationen. Wir alle auf dem Weg, alle
am Lernen und Verlernen: Was ist noch männlich, was weiblich, welches
Berufsbild reicht für ein Arbeitsleben? Was ist typisch deutsch? Alles
nicht mehr klar, alles voller Möglichkeiten. "Prüfet alles, und
das Gute behaltet" - so schon Paulus, der geniale Entdecker für den
Freisprecher Christus: Der fasst zusammen "Liebe und sei klug ohne Falsch."
Das eröffnet ein Leben mit fröhlichem Herzen und weitem Horizont,
mit viel Freiheit für Ja und Nein. Biete dich an, setz du auf Gelingen,
bilde Seilschaften für eine geschwisterliche Welt.
Ja, die Gene gelten lebenslang, aber die Hälfte ist doch Erziehung,
Wille, Vorstellung. Wir sind auch die wir waren, aber viel mehr sind wir
noch im Werden. Und können noch schätzen lernen, was wir nicht
kannten. Können die Welt anders sehen lernen als sie uns eben noch so
vorgefertigt schien. Paulus noch mal: "Nichts ist verwerflich, was mit Danksagung
empfangen wird."
Aber: "Wahrscheinlich gab es nichts, woraus Frau Volkmann nicht eine Party
hätte machen können" (M. Walser), das ist die Kehrseite. Wenn jeder
die Freiheit hat, nach seinen Maßstäben zu leben, solange er anderen
nicht schadet, dann kann er leicht nach eigener Fasson zur Hölle fahren,
und kann einsam werden. Was dem einen sein Uhl, ist dem andern sein Nachtigall.
Und Sichabsprechen kostet Mühe.
Und doch müssen wir uns zu gemeinsamem Tun - auch Steuerzahlen - verabreden.
Mit Manieren halten wir die Nähe aus, die gemeinsames Gelingen braucht.
Darum ist so kostbar ein faires Dienstverhältnis, Kollegialität,
professionelle Teamwork. Man geht höflich miteinander um, gerade unter
Verbergen und Schonen des Privaten. Und vermeidet damit Übergriffe aus
Neid oder Eifersucht. Es gibt keinen, der reinweiß lebt, ein vielfach
gestuftes helles Grau mit schwarzem und goldenem Rand ist üblich. Ganz
wenige Gutgute, ganz wenig Bösböse, zumeist Bösgute, Gutböse
- so sind wir. Machen wir mit Lust den Tag zum guten Tag.