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Traugott Giesen Kolumne 23.11.2002 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Von Menschen und Bäumen

Jeder hat wohl seinen besonderen Baum. Die Kiefer nah am Grab der Eltern oder die dreistämmige Kastanie, gut zum Klettern für die Nachbarskinder, oder den Walnussbaum, zur Hochzeit gesetzt. Mit seinem wechselnden Kleid zeigen Bäume den Lauf der Jahreszeiten an und bilden auch den Ablauf der eigenen Zeit ab. Bäume können ein unerschöpfliches Gegenüber sein. Jesus nahm sie zum Gleichnis für uns.

„Es hatte einer einen Feigenbaum, der war gepflanzt in seinem Weinberg, und er kam und suchte Frucht darauf und fand keine. Da sprach er zu dem Weingärtner: Siehe, ich bin nun drei Jahre lang gekommen und habe Frucht gesucht an diesem Feigenbaum und finde keine. So hau ihn ab! Was hindert er das Land? Er aber antwortete und sprach zu ihm: Herr, lass ihn noch dies Jahr, bis ich um ihn grabe und ihn dünge; vielleicht bringt er doch noch Frucht; wenn aber nicht, so hau ihn ab."

Hoffentlich schafft es der Baum, denk ich sofort, weil ich auf vielfache Weise ihm ähnlich bin. Ich bin auch ins Leben gepflanzt, ohne gefragt zu sein; habe schon in mittleren Jahren braune Stellen oder bin schon alt und knorrig, Freund Hein schweift ums Haus, aber man will noch gerne hier sein. Vielleicht hat man manchmal das Gefühl, einer japanischen Zierkirsche gleich mit mächtigem Blütenkleid dazustehen, aber bei viel Buhei doch keine Früchte. Oder du bist einer mit vielen Früchten, dass der Baum sich dran kaputt trägt, und er sehnt sich nach Winter, dass er nichts mehr muss. Oder ich habe Früchte, die mag keiner, und ich müsste mich mal umstellen auf nützlichere Arbeit. Oder von Stürmen zerzaust bräuchte ich mehr Schutz. Oder an meinem Lebensbaum fehlen mir schon einige dicke Äste, die hat das Leben abgeschlagen, aber ich habe immer noch eine neue Mitte gefunden. Vielleicht bin ich ein Baum auf schlechtem Boden, müsste noch mal neu beginnen anderswo.

Gott sei's gedankt: Wir sind auch Gärtner, dürfen mit am Drehbuch unseres Lebens schreiben, sind zuständig für mein und anderer Wohlbefinden. Bitte sei dir ein guter Gärtner. Gehe pfleglich mit dir um. Nimm dir Zeit für dich, lies dich frei, gestatte dir Liebe, Freiheit, wage neue Freundschaft. Schaffe dir, schaff deinem Baum Platz zum Atmen und Blühen.

Und sei auch guter Gärtner für andere. Wer ist das Bäumchen, das deine Achtsamkeit besonders braucht? Lass es nicht verkümmern, aber überschütte es auch nicht. Wir können uns anregen und behindern, einander fördern oder kleinhalten. Jeder hat das Schicksal des andern mit in seinen Händen. Und ich schädigte mich mit, wollte ich nur Sorger meines Baumes sein; da werde ich letztlich einsam, und keiner will mich mehr. Wir sind auch in der Rolle des Besitzers. Jeder muss ein Stück Macht verwalten; schon als Kunden bewerten wir anderer Leuts Arbeit, müssen auch mal sagen: So geht es nicht. Mit mir nicht!

Wir sollten mal jeder für sich seinen Lebensbaum malen, da wird einem manches klar. Auch, dass an unserem Stamm schon eine Axt lehnt ­ wir sind nur auf Zeit.


 




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