Traugott Giesen Kolumne 10.08.2002
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Meine Trauer am 11. September
Das war der Tag, an dem die Zerbrechlichkeit
der Gebilde von Menschenhand uns ins Herz fuhr. Noch hunderte Mal liefen
und laufen die Bilder uns hinter die Stirn: der Feuerball, die zweite anfliegende
Maschine, zielsicher durchbohrt sie den Kubus. Die in sich stürzenden,
kollabierenden Türme, der Hagel fallender Teile und stürzender
Menschen, die aschebedeckten Entronnenen. Die zu Tode erschöpften
Feuerwehrleute, die Witwen mit ihren Kindern, in den Händen die Bilder
der verlorenen Väter. Keinen Schrecken in der Welt hat die Menschheit
rund um die Erde so gleichzeitig wahrgenommen. Lebenslang werden die Menschen
wissen, wo sie wann die ersten Bilder sahen des 11. September; ein Weltdatum
vielleicht wie der 8. Mai (Kapitulation Deutschland) und der 6. August
(Hiroshima).
Ich kam gerade von den Konfirmanden zurück.
Wir hatten überlegt, was wir am kommenden Erntedankfest an den Altar
stellen wollen als Zeichen unserer Ernte, Beute, Erfahrung. Später hockte
ich mich hin und schrieb ein Gebet, einen Fetzen von Klage und atemlosem
Erschrecken und trug das Geschriebene in die Kirche, stellte nah an den Eingang
ein Pult mit Schreibzeug, dass man seine Gebete hinzufügen könne,
und entzündete eine große Kerze, ein Rosengesteck mit schwarzer
Schleife kam noch dazu.
Es ist mir der 11. September ein Karfreitag
- das Leiden von uns Menschen aneinander schmerzt tief. Die Welt scheint
Gott-verlassen, als hätten wir ihn aus der Welt hinausgekreuzigt. Ich
trauere um die Menschen, die so gern noch gelebt hätten, jeder der 3120
am Morgen Gestorbenen hatte für den Abend was Friedliches vor. Besessene
zerrissen ihnen ihr Lebensband, einfach so. Sie wollten nicht diese Menschen
treffen, sie wollten ein Symbol zu Fall bringen. Sie gaben ihr Leben für
eine Idee, und meinten, ihr Opfer rechtfertige das Opfer anderer. Aber keine
Idee ist gut, die Menschen ihr Leben wegnimmt. Nur was ist mit mir? Ich bekomme
Recht, ohne persönlich Gewalt anwenden zu müssen. Meine Kinder,
Enkel, verhungern, verdursten nicht und werden nicht in Lagern
festgehalten.
Der Preis für unseren relativen Wohlstand
hier im Westen ist die Angst. Erst, wenn wir mehr Kinder am Leben erhalten,
durch vielfach mehr gegebenes "Brot-für-die-Welt" oder durch direkte
Hilfe, persönlich nach Palästina oder Indien gebracht, werden wir
unsere Albträume los. Und erst wenn wir mehr Steuern zu zahlen bereit
sind für Streetworker, für Kindergartenplätze, für mehr
lehrende Menschen, werden wir die Gewalt auch bei uns eindämmen. Und
wenn Menschen wieder arbeiten dürfen, statt dafür bezahlt zu werden,
dass sie ihren Arbeitswunsch vergessen! Und wenn wir wieder christlichen
Glauben lernen, wir mit unsern Kindern, Enkeln wieder Kirche mitbauen.
Jeder Nachbar in der U-Bahn kann ein
Selbstmordbomber sein, jeder Flug in den Urlaub kann ein Sturzflug in den
Tod werden aus Hass - der 11. September währt. Ich bin traurig, aber
bete um Heiligen Geist, dass ich, dass wir Frieden finden, indem wir anderen
zu ihrem friedlichen Leben verhelfen.