Traugott Giesen Kolumne 24.03.2001
aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg
Schulden - und jetzt?
Wohl zwölf Millionen Deutsche haben in
den letzten Wochen mehr oder weniger viel Geld verloren. Dabei sagt man doch,
auf lange Sicht lohnen Aktien immer: "Kaufen und sie schlafen lassen." Doch
wer vor einem Jahr kaufte, hat jetzt viel verloren. Es sei denn, er meint,
Zeit zu haben. Sicher bessern sich die Werte wieder, jedenfalls die der starken
Firmen, andere bläst es vom Markt. Aber wer jetzt verkaufen muss für
seinen Hausbau oder für das nötig gewordene Auto, bei Scheidung,
oder weil er bürgte, seine Arbeit verlor oder seine Firma in Not ist,
der ist arm dran. Der kann schnell auf einem Berg Schulden sitzen, und nichts
ist stacheliger als Forderungen anderer. Und wenn man noch Aktien kaufte
von geliehenem Geld, ist man doppelt schuldig. Ein Mensch, der viel mit Geld
zu tun hatte, betete das Vaterunser immer in der Variante: "Und vergib uns
unsere Schulden." Aber mag Gott auch vergeben - "die Liebe deckt zu", heißt
es in der Bibel - so bleiben Schulden einem treu. "Für den Guten bleibt
es wohl das höchste Fest, wenn alte Schulden zu entrichten ihm gelingt",
sagt Goethe. Und das darum, weil man dem Anderen ja was abgenommen hat, wenn
man ihm was schuldig bleibt.
Nun bleibt man das Meiste ja nicht Diesem oder
Jenem schuldig, sondern einer Bank, einer Aktiengesellschaft mit Hunderttausenden
von Inhabern. Und das Allermeiste bleiben wir per Staatsschulden den
nächsten Generationen schuldig. Da steht einem kein konkreter Mensch
mit Name, Gesicht, Schicksal gegenüber, sondern anonyme Mächte,
die einem das Häuschen wegpfänden oder die Rente kürzen. Meist
sieht man sich bei diesen Schulden gegen Bank oder nächste Generation
in ein Schicksal eingehüllt, sieht sich schon fast tröstlich
aufgenommen von einer Welle des Irrtums, der Verschwendung, der hohen
Ansprüche und Gutgläubigkeit.
Aber Schulden bleiben Schulden. Wie sie schmerzen,
zeigt sich im direkten Gegenüber. Von Angesicht zu Angesicht begegnest
du deinem Schwiegervater oder deiner Frau, deinem Freund von ehemals oder
deinem Chef. Du hast dir Geld geliehen, und es ist weg, hast das geliehene
Auto zu Schrott gefahren, hast ihr Sparbuch angerührt oder die Mietschulden
nicht bezahlt, obwohl du dafür bei Oma dir Hilfe erbeten hast. Oder
eine Nummer größer: Du hast mit einem Freund die Firma gegründet
und deinen Anteil noch immer nicht eingebracht und bist auf dem Absprung.
Das Schlimme, und darum sind Schulden auch immer Schuld, von wem auch immer:
Einer hat zu viel versprochen, hat Hoffnungen geweckt, hat Mitleid zum
Fließen gebracht, raubt anderen Eigenes, damit was von ihrer Freiheit,
ihrem Glück. Dann bleibt nur Irrtum und Schuld eingestehen, um die eigene
Großspurigkeit weinen, harte Arbeit und viel Verzicht. Und es gibt
eine neue Chance.