Keitumer Predigten Traugott Giesen
11.07.1999
Markus 11, 15 � 18 Vertreibung der Opferhändler
Jesus und die Jünger kamen nach Jerusalem und gingen in den Tempel.
Es war ein reges Treiben von Kaufen und Verkaufen zugange in der Eingangshalle.
Da fing Jesus an, auszutreiben die Verkäufer und Käufer im Tempel;
und die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler
stieß er um und ließ nicht zu, daß jemand etwas durch
den Tempel trage. Und er lehrte und sprach zu ihnen: Steht nicht geschrieben
beim Propheten Jesaja (56, 7): �Mein Haus soll ein Bethaus heißen
für alle Völker�? Ihr aber habt eine Räuberhöhle daraus
gemacht.
Also �Räuberhöhle� ist schon stark. Die Händler tun
nichts anderes als Opfertiere bereithalten. Mühsam genug bei all den
strengen Vorschriften von koscheren Tieren und welche Sorte Tauben für
welche Sorte Opfer. Die Händler halten auch die Tempel-Währung
bereit � man wußte schon, daß an Geld viel Unrecht klebt, da
wollte man es waschen, durch Eintausch in Tempelgeld � eine kirchenjuristische
Lösung wie der Beratungsschein mit Aufdruck: dies ist kein Beratungsschein.
Jesus hat nichts gegen fairen Handel, aber Gottes Güte zur Ware
machen � daß ist lästerlich.
Jesus scheint voll Wut, er ist ungehalten, zornig � jähzornig?
Bei Johannes heißt es: Jesus greift zur Peitsche und jagt die Händler
und Wechsler zum Tempel hinaus. Es muß Jesus ans Mark gegangen sein.
Was denn?
Eben, daß Religion zur Ware gemacht wird. Die Anfänge dazu
liegen weit zurück. Seit Kain und Abel bringen Menschen vom Ertrag
des Feldes, des Viehs, der Jagd, ihrer Arbeit einen Anteil zum Altar. Ein
Honorar für gutes Gelingen an die höheren Mächte.
In grauer Vorzeit war das lebenswichtig: Das Sippenoberhaupt hat tatsächlich
eins der Kinder auf dem Altar geopfert. Erst durch Kenntnis des Gottes
Israels, bei Isaaks Opferung ist dann das Menschenopfer abgelöst worden
durch Opfern eines Tieres.
Beim Opfern ist vor allem Schuld wieder gut zu machen. Man stiehlt
ja Gottes Gaben, wenn man jemand etwas entwendet, man nimmt Gott ein Stück
Wahrheit weg, wenn man falsch Zeugnis redet und geht ihm an die Ehre, wenn
man Menschen tötet. Da ist zum Zeichen der Reue Wiedergutmachung und
Strafe nötig, das wissen wir tief innen. Die mußte bezahlt werden
am Tempel. Und die Priester nahmen das Opfertier in Empfang und brachten
es der Gottheit dar � nicht ohne für sich einige Stücke abzuzweigen,
getreu dem biblischen Wort: Wer den Altar wartet, soll sich vom Altar ernähren.
Sie nahmen auch Geld-Opfer an zur Erhaltung des Tempels.
Natürlich steht hinter der Idee vom Opfer auch die ganz realistische
Vorstellung vom mitessenden Gott. Der sich den Duft des gebratenen Fleisches
wohlig durch die Nase gehen läßt. Der alte Brauch, des auf den
Boden geschütteten Schluck Weines ist in den Mittelmeerländern
noch üblich � es meint die Gottheit mit am Tisch. Und auch unser Altar
ist ja nicht nur ein Bord zur Ablage von Bibel und Leuchter � sondern ist
der Tisch des Herrn. Wo Gott uns selbst einlädt zum Abendmahl, uns
an seiner Güte zu laben. Wir kennen es noch: Du bereitest mir einen
Tisch im Angesicht meiner Feinde und schenkest mir voll ein (Psalm 23).
Ja, und damit kippt die Idee vom Opfer um. Gott lädt an seinen
Tisch, wir brauchen Gott nicht erst friedlich zu stimmen, zu begütigen,
brauchen ihm nicht unsere Sünden zu büßen. Unsere Sache
ist, seine Liebe annehmen, mit Staunen ihm danken, ihm beistehen beim Ernähren
der Menschen. Wir sind eingeladen, das Fest des Lebens mit ihm zu feiern
� eben nicht schuldbeladen, geduckt durchs Leben gehend. Sondern dem Jesus
sollen wir das Selbstbewußtsein der Söhne und Töchter Gottes
abgucken.
Genau das ist wohl der Grund, warum Jesus die Tempelhändler verjagt:
Sie sind nicht mehr nötig, noch schärfer: sie sind die Rekruten
eines überholten Gottesbildes.
Jesu Gott braucht keine Priester mehr, die die Opfer, die Gaben für
Gott eintreiben; wir brauchen auch keinen Pontifex mehr, keinen Brückenbauer,
der den Weg zu Gott ebnen müßte; brauchen keine Heiligen mehr
als Fürsprecher, brauchen auch Jesus nicht als Mittler � denn Gott
ist der liebende mütterlich-väterliche Lebensgrund. Nicht Gott
muß versöhnt werden, sondern wir. Paulus sagt es klar: �So sind
wir nun Botschafter an Christi Statt: Laßt euch versöhnen mit
Gott� (2. Korinther 5)
Darum auch keine Opfer mehr, keine Schlachttiere mehr, darum keine
Tempelwährung mehr. Opferaltäre, Tische; Kassen, Tiere, Sachen
raus aus dem Tempel: Gott braucht sie nicht, braucht auch die Priester
nicht, die unsere Schuld und unsern Dank zu Geld machen und vor Gott hintragen.
Aber wir täten so gern ein zusätzliches Geschäftchen
machen. Die Prunkkirchen mit ihrem Gold sind auch Zeugnis für Bezahlen
von Schuld. Wie ja stattlicher Schmuck vom Mann der Frau geschenkt, ein
flotter Flitzer von der Frau dem Mann dargebracht ein Versöhnungsgeschenk
sein kann. Und wieviel Lottospieler haben Gott Prozente für einen
guten Zweck versprochen, für den Fall. Uns liegt ein Handeln mit dem
Schicksal nahe, in uns denkt was: Ich müßte das Schicksal versöhnen,
müßte es gnädig stimmen, müßte Verzicht leisten,
um Neid der Götter zu stillen. Da ist noch nah die Ahnung aus der
Steinzeit der Menschheit: Gott als herrischer Übervater, der spielt
seine Kinder gegeneinander aus und läßt sie um die Gunst von
Vater buhlen.
Eine ganze Theologenzunft hat die Menschheit sich erzogen, um mit den
Launen des Schicksals oder mit den scheinbaren Gottes-Launen umgehen zu
können. Und auch um sich selbst wichtig zu machen, fanden die Priester
immer raffiniertere Systeme, wie sie die Menschen angeblich freikauften.
Und die Kirche wurde stärker als alle anderen Religionen, weil, so
hieß es, sie den Schatz der guten Werke des Sohnes Gottes verwaltete.
Der habe sein Leben dargebracht, um die Sünden der Welt zu bezahlen.
Die Basis dieses Handels aber wischt Jesus beiseite: Gott liebt ohne
wenn und aber. Keine Mutter läßt sich für die Lüge
des Kindes durch eine Leistung gnädig stimmen. Eine Mutter liebt.
Darum ist sie gnädig. Wieviel mehr die Mutter aller Mütter �
Gott selbst.
Verbannt ist der Ablaß, unmöglich ist das Abzahlen von schlechtem
Gewissen. Unser Gott hat nicht mehr zwei Seiten, es gibt keine Gott besonders
nahe stehenden Menschen, geschweige denn eine Priesterkaste, die durch
Weihen über mehr religiöse Qualität verfügte.
Gott liebt dich und braucht dich � und will, daß die Geschichte
gut geht, im Großen und im Kleinen. Auch mein, dein Lebenslauf soll
glücklich verlaufen. Aber die Umstände sind riskant, die Herzen
wankelmütig, die Technik oft zu energiegeladen für uns ablenkbare
Menschen, unser Körper dermaßen kompliziert, daß Fehlschaltungen
passieren können. Gott steuert nicht jede Ampel, jeden Blutdruck extra,
siebt nicht jedes meiner Worte � er läßt den Menschen und Dingen
ihren Lauf. Wir passieren in Gott, gedeihen in Gottes Hand, inklusive finsteres
Tal. Mit Schwerkraft und Photosynthese und einem geschickten Ausgleich
von Nehmen und Geben und noch ein paar Konstanten macht Gott, daß
sich die Dinge selber machen.
Mir hilft es, daß ich um Gesundheit bete, vor allem indem ich
danke, und einigermaßen mich schütze vor Schaden � aber nicht
hoffe ich, daß gerade mir Gott besonders die Lunge putzt. Ich glaube
mich und dich in Gottes Hand mit Glück und Unbill. � Darum keine Opfer,
um Gott gnädig zu stimmen. Es geht nicht mehr.
Wohl aus Dank genügend abgeben, daß andere auch Grund zum
Dank haben. Und warum nicht eine Orgel für Sankt Severin mitfördern
� was garantiert mehr Nutzen für die Menschheit bringt, als nur das
Erbe zu mehren, und darauf läuft es doch hinaus. � Geben aus Dank,
weil man genug hat, so daß man auf gar nichts verzichten muß,
selbst wenn man ganz schön was in die Kollekte tut. �
Aber nicht, um Gott gnädig zu stimmen. Es geht darum, mich, dich
gnädig zu stimmen. Ich muß meine guten Taten loswerden im Rahmen
meines Vermögens, sonst wird meine Seele stockig.
Und darum auch ist Kirche nötig, auch St. Severin: Daß wir
das wieder hören, und daß wir in gemeinsamer Zwiesprache bleiben
mit Gott, die Texte der Bibel hören und bedenken, gemeinsam singen,
Mut fassen, Kinder taufen, Paare sich einander aus Gottes Hand annehmen
können. Und wir feiern mit. Natürlich braucht der Tempel Geld,
aber er kann nicht mehr den Himmel und Gottes Vergebung verkaufen. Warum
nicht? Weil der Eintritt an Gottes Herz frei ist und seine Vergebung umsonst
ist.
Aber den Himmel wollen und die Vergebung in Gebrauch nehmen, das müssen
wir schon selbst. Amen.