Predigt 26. Juni 2005
PREDIGT vom 26.6.2005 von Dr. Marcus A. Friedrich; Leck
Himmelsleiter 1. Mose 28, 10ff
"Ich habe geträumt, ich steige auf einer Leiter empor", erzählte
mir, liebe Gemeinde, kürzliche eine Frau in einem Rundgespräch
über Träume, "ich steige auf einer endlosen Leiter empor, und
während ich in die Höhe komme, fängt die Leiter, erst langsam,
dann immer schneller an zu kippen." Ein kurzer Traum, ein Traum, der im erleben
so endlos scheint wie eine Schrecksekunde, ein Traum, den sie immer wieder
träumt, von dem sie aufwacht, aufschreckt, wie wir das kennen bei
Angstträumen, ein Alptraum ohne Mord und Totschlag zwar, ein Absturz
aber ohne Ende.
Das, was Halt geben soll im Bild, die Leiter, hält nicht wirklich, es
fällt. Das, was hinaufführen soll, führt nicht nach oben,
sondern ins bodenlose Nichts. Und im Fallen gibt es keinen Weg zurück,
die Leiter wieder geordnet herunter zu gehen auf sicheren Grund. Trotzdem
treibt die Steigende etwas auf die Leiter hinauf, viel-leicht ist sie auf
der Flucht vor Bedrohlichem aus der Tiefe.
Dieser Traum beschreibt einen Weg aus dem Nichts, den einer versucht zu gehen,
mit dem Schrecken, dass er, so oft er sich auch bemüht, in dies Nichts
zurückfällt.
In der Welt der Träume, liebe Gemeinde, passieren unglaubliche Dinge.
Und wir müssen, sollen, können Dinge tun, die wir bei Ta-geslicht
besehen, für unmöglich, unzumutbar, unglaublich halten. Wir kennen
Erfahrungen aus der Traumwelt, die unsere diesseiti-gen Möglichkeiten
wunderbar übersteigen, fliegen zum Beispiel. Diese Möglichkeiten
lösen Gefühle der Lust und der Angst aus, viel Stimmung ist meistens
in den Bildern und Szenen. Die Gefüh-le, die wir Menschen dabei entwickeln
sind immer unsere eigenen, echten. Und sie klingen oft noch am Morgen nach.
Der eine Traum beflügelt, der andere drückt nieder und lässt
einen missmutig durch den Tag gehen, wie verkartert. Fünf Jahre unseres
Lebens sind wir am träumen, wenn man alle Traumzeiten zusammen rech-net.
Weil Gott überall in Erscheinung treten kann, sind die auch die
nächtlichen Träume Spielstätten Gottes, Bewusstseinsräume,
in denen Gott zu uns Menschen spricht. So sieht es jedenfalls das Alte Testament.
Es wird am klarsten deutlich in der Geschichte von Jakobs Himmelsleiter.
Vorhin gelesen.
Ist es nicht erstaunlich, dass da das selbe Motiv, das selbe Bild von der
Leiter, von der die Frau kürzlich erzählte, 2500 Jahre frü-her
in der Bibel auftaucht bei einem prominenten Träumer des Al-ten Testaments?
Den Psychologen C. G. Jung hat eine solche Wiederkehr von Bildern dazu verleitet,
von Archteypen der Seele zu sprechen, von Grundbildern des Lebens, die allen
Menschen gemein sind, die auch unsere Träume prägen. Dabei, meine
ich, ist es nicht so sehr der Gegenstand der Leiter nur, der hier unsere
Aufmerksamkeit verdient, sondern eher, was mit und auf ihr, was durch sie
geschieht.
Ich erinnere noch einmal: Jakob auf der Flucht vor seinem Bruder ist des
Laufens müde und legt sich an einen Ort, der ihm durch einen Steinhaufen
wahrscheinlich ins Auge gestochen ist. Nimmt einen Stein und legt sich den
als Kopfkissen unter, nach dem Mot-to, wer solche Träume haben will,
braucht keine besondere Aus-rüstung, traumhafte Federbetten oder
ähnliches. Und fällt in einen tiefen von körperlicher
Erschöpfung beschwerten Schlaf.
Während er schläft, sieht er nun im Traum eine Leiter Himmel und
Erde verbinden. Auf dieser Leiter steigen Engel, Boten Gottes, auf und ab.
Am oberen Ende im Himmel steht Gott selbst. Und er gibt sich ihm zu erkennen
als der Gott seiner Sippe: "Ich bin der Herr, der Gott deines Vaters Abraham;
und Isaaks Gott."
Laßt uns einmal die zwei Traumsituationen vergleichen! Während
die eine Leiter fällt, hält die andere dort fest, wo sie eigentlich
nicht fest sein kann, im Himmel. Und einer dort oben steht dafür ein,
dass die Verbindung zwischen Himmel und Erde, der Ver-kehrsweg zwischen dem
menschlichen und dem göttlichen Reich steht. Die Leiter endet also nicht
im nichts, sondern an jenem Ort, an dem die Menschen Gott als anwesend glauben.
Wir bringen es auch heute wieder in der Bildsprache des Gebetes zur Sprache:
Vater unser im Himmel.
Anders als im erstem Angsttraum tut Jakob dabei nichts als schla-fen und
sehen. Er hält weder die Leiter fest, noch hat er Grund, die Erde zu
verlassen und hinaufzuklettern zu Gott. Es geht für ihn ja gerade darum,
die Erde, sein Land anzunehmen, für das Gott ihn eben segnet. "Das Land,
auf dem du liegst, will ich dir und deinen Nachkommen geben."
Dadurch treibt Jakob auch nichts hinauf, Gottes Botschaften und Weisungen
entgegen zu nehmen. Denn die Boten Gottes, seine Engel, steigen ja zu ihm
hinab und wieder hinauf wie Himmel-Erd-Kurriere. Nicht also gilt: Rette sich
wer kann die Leiter hinauf aus dem Abgrund des Lebens, sondern: Du bist schon
gerettet und be-hütet, Jakob, Träumer und Flüchtling, Gott
schickt seine Engel zu dir hinab. Mit beiden Beinen wirst du auf der Erde
stehen. Jetzt kannst du ruhig weiterschlafen, denn dein Gott verheißt
dir Segen und seinen Halt, statt heillosem Absturz.
Die Gotteserscheinung Jakobs im Traum ist ihm schwer in die Knochen gefahren.
Am nächsten morgen erwachte er voller Ehr-furcht. "Ich wusste garnicht,
dass dies hier das Haus Gottes ist." Und er maß diesem besonderen Ort
gute Träume zu, göttliche Träume. Und er nannte den Ort Bethel,
Haus Gottes.
Haben Sie, habt ihr, liebe Gemeinde, schon einmal Gott in Traum gesehen?
Von einem Verstorbenen haben sie bestimmt schon ein-mal geträumt, von
Freunden oder Verwandten, aber von Gott selbst? Ich jedenfalls bin ihm im
Traum noch nicht persönlich be-gegnet. Was ich aber auch nicht verwunderlich
finde, weil ich nicht Jakob bin, und noch lange kein Erleuchteter.
Und würde uns dies geschehen, wer weiß, ob wir ihn erkennen
würden? Wer weiß, ob wir aushalten könnten die absolute
Gott-heit, ohne zu vergehen! Jakob war nicht irgendwer. Und Ikarus hat es
die Flügel verbrand, als er zu dicht an die Sonne flog.
Trotzdem sind Sie, sind wir, die wir zu Abrahams Samen zählen, angesprochen
von seinem Traum von der Himmelsleiter. Wir kön-nen den Traum Jakobs
für uns gelten lassen. Mut fassen und Ver-trauen darein, dass der
Verkehrsweg offen ist zwischen Himmel und Erde. Auf ihm sind die Botschafter
Gottes zu uns unterwegs. Vertrauen auch da hinein, dass wir uns nicht
abmühen müssen auf der Leiter zu ihm hinauf, auf Stufen zum Heil.
In Glauben an den Gott unserer Väter und Mütter gibt es kein Bronze,
Silber, Gold Abzeichen und kein Siegertreppchen, für die, die auf der
Leiter aufsteigen. Hier gilt eher: Leg dich hin und schlaf, er wird schon
seine Engel schicken. Diese Sicht der Dinge hat übrigens auch den Schlaf
heilig gemacht. Und wenn einer sagt, mein Schlaf ist mir heilig, dann ist
eigentlich mehr gemeint damit, als acht Stunden. Früher gab es entsprechende
Orte, an denen man im Gotteshaus Kirchenschlaf halten konnte, als geistlicher
Weg des Seinlassens, der Gott die Ehre gab.
An Jakobs Traum lässt sich auch erkennen, das die jüdisch christ-liche
Religion eine zutiefst irdische und das Leben auf der Erde bejahende ist.
Mach dich auf, lebe und vermehre dich mit den Dei-nen, gibt Gott Jakob mit
auf den Weg, ich werde mich schon um dich und dein Volk kümmern.
Träume sind Spielstätten Gottes, das führen uns Jakob, aber
auch Josef, Daniel und andere Träumer vor Augen, denen Gott im Traum
begegnet. Und wir kennen zuweilen das Gefühl, das wir aufwachen nach
einem Traum und den Eindruck nicht loswerden, dass das, was wir geträumt
haben, irgendetwas zu bedeuten hat, uns die Vergangenheit klärt oder
ein Stück die Zukunft weist. Manchmal bekommt man etwas heraus über
sich selbst dabei und über den Grund des Lebens, so zum Beispiel ja
ganz einfach bei Träumen die mit Wünschen verbunden sind. Schwierig
wird es aber, wenn wir anfangen unser Gottes- und Weltverhältnis
aus-schließlich und im Wesentlichen über das zu begründen,
was wir träumen.
Für Christen kann das eigentlich keine Gefahr sein. So weit brau-chen
wir nicht gehen, weil wir Jesus Christus haben! Den Herrn aller Träume
unter uns.
Was hat nun das Träumen mit dem auch noch zu tun, mögen Sie sich
jetzt fragen. Das will ich am Schluss noch erzählen.
Eins ist zuerst erstaunlich: Von Jesus Christus sind keine Traumer-lebnisse
überliefert, anders als bei seinem Vater Josef und vielen anderen biblischen
Führungsfiguren. Dafür gibt es einen ganz ein-fachen Grund. Jesus
selbst war Gottes Traum, der Wirklichkeit wurde. Ein Traum ist bei Gott gereift,
auch angesichts der Men-schen, seiner Geschöpfe, die so viel schlimmes
anrichteten und ins schlingern gerieten ob ihrer Erkenntnis von Gut und
Böse. Gott selbst wollte sie nicht allein lassen, die Engel der
Himmelsleiter reichten nicht mehr. Ich selbst, sprach Gott, so erzählt
der christli-che Mythos, will selbst die Leiter hinunter steigen, will wie
mei-nesgleichen werden auf der Erde. Zu den meinen gehen, die ich so liebe.
Und Gott wurde Mensch unter Menschen in Jesus, dem Christus.
Die Menschen brauchten fortan nicht mehr vom Himmel zu träu-men, weil
der Himmel zu ihnen gekommen war. Der Himmel war über allen aufgegangen
und auf alle übergegangen. Himmel und Erde fielen in eins zusammen.
"Das Himmelreich ist mitten unter uns", so beschrieb es Jesus, der Traum
Gottes selbst. Die, die ihm damals nachfolgten wurden oft für Träumer
gehalten, wie Christen ja heute gelegentlich auch nicht ganz ernst genommen
werden, als seien sie von einer ande-ren Welt.
Das soll uns nicht stören. Aber wer angstvoll träumt, dem kannst
du entdecken helfen, dass der Himmel schon unter uns ist. Das ist Glauben
an diesem Sonntag, zu erkennen, wo zwei oder drei den Traum Christi leben,
da ist das Haus Gottes.
AMEN