Predigt 01. Januar 2005
Keitumer Predigten Traugott Giesen 01.01.2005
Neujahr 2005
Die Losung für das neue Jahr lautet: Christus spricht: Ich habe
für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhöre. Lukas 22,32
Ich habe gelesen, das heiße Ich habe für dich gebeten, dass
dein Glaube nicht aufhöre, aber das fand ich komisch, und deshalb
sage ich lieber: gebetet. Wenn das der Jesus für den Petrus
getan hat, dann hatte er es nötig, und wenn er es für Petrus getan
hat, dann tut er es auch für uns, und nur darum ist es so wichtig, dass
er es auch für Petrus getan hat, weil er es auch für uns tut.
Was sagt Gott zu dir? Was sagt Christus zu dir? Ich bete für
dich, das ist unglaublich. Er fädelt mich und dich ein in ein
gutes Gewebe. Für einen beten, ist ja überhaupt mit das Stärkste,
was wir uns tun können. Es ist ja, als würden wir einen
anschließen an frisches Wasser, anschließen an rettendes Denken.
- Wir hegen für einen anderen gute Gedanken und halten ihn damit in
Gottes Spiel.- Beten heißt, Gott mit ihm beschäftigen. Also, ich
bete zu Gott, dass er sich mit ihm gut beschäftigt. Jetzt sagt aber
Christus selber Ich bete für dich, also sagt Gott selber
Ich, Gott, bete für dich, dass dein Glaube nicht aufhöre.
Gott betet für uns. Zu wem? Gott, Christus betet für uns. Er hält
uns im Gespräch mit sich selbst. Er hält uns den Atem hin, dass
wir von ihm Atem nehmen. Er hält uns seine Fürsorge hin, dass wir
uns darin wiederfinden. Vor allem - er hält uns im Gespräch mit
sich. Beten ist ja zuerst einmal sprechen - zu. Sprechen mit - sprechen zu,
sprechen mit. Gott spricht mit uns, hält uns im Gespräch. Das ist
ja das Faszinierende, dass Gott den Menschen sich geschaffen hat, um ein
Gegenüber zu haben, um mit ihm - also, wenns nicht
missverständlich ist - um sich zu erkennen. Also, das ist ein bisschen
sehr hoch vom Menschen gedacht, bei Thomas Mann, in Josef und seine
Brüder, da kommt eine Szene vor, wo der Josef tief im Brunnen
ausgesetzt ist und nachdenkt. Er meint, er müsse sterben und weiß
dabei: Das kann nicht das Ende der Wege Gottes sein. Allein schon dies
starke Bild: in einer unendlich tiefen Röhre stecken und über sich
ein Stück Himmel mit Sternen sehen, und dann ...
Jedenfalls, ging dem Josef das Licht auf, dass Gott mit ihm mehr vorhat;
Gott kann es sich gar nicht leisten, ihn da unten kaputt gehen zu lassen
und aus und vorbei. Dann heißt es so ähnlich bei Thomas Mann
Und Gott küsste sich die Fingerspitzen über dieses
ausgeklügelte Denken seines Josef. - Als würde Gott an Josef
entdecken, die noch unentdeckten Möglichkeiten bei sich selbst.
Ob Gott uns braucht, um sich wahrzunehmen - also, ich möchte es schon
glauben, weil wir ja als Minimalausgaben des lieben Gottes Gott
hat uns weniger, wenig niedriger gemacht als Eloim, als Gott; mit Ruhm und
Herrlichkeit hast du ihn gekrönt (Psalm 8,6).. Dass Gott in uns
auch sich wiederfindet wie wir uns ja auch wiederfinden im Gegenüber
- Ich weiß gar nicht, was ich gesagt habe, bevor du mir nicht
antwortest- Das geht uns ja oft so. deshalb sind die Diskussionen zwischen
Ehe- oder eheähnlichen Menschen ja so unheimlich spannend, weil sie
erst im Contra entdecken, was sie überhaupt gesagt haben, und dann wird
abgeklopft, ob man das denn wirklich so gesagt habe und wenn ja, was das
denn meine. Jedenfalls, wir werden erst durch das Gegenüber. Daß
aber Gott sich diese Blöße gibt, dass er selber werden will mit
uns als Antwortenden und mit uns als Fragenden - das ist Gottes wahre Demut.
Wenn er beim Äffchen aufgehört hätte, seine Evolution zu kochen,
dann hätte er ja viel mehr Ruhe, dann gäbe es aber nichts Böses.
Und also auch nichts Gutes. aber er wollte ja wesen die fähig sind für
diese . Diese Befähigung macht uns wunderbar und sehr verschieden. Legt
nun Gott was von seiner Geistenergie in uns, dann redet was von Gott mit
Gott. Er hat uns die Ewigkeit ins Herz gelegt (Prediger 3), meint
ja auch, Gott hat uns diesen ewigen Dialog mit ihm ins Herz gelegt. Der kann
verstopfen, es wird ein Monolog, man stilisiert sich selbst zur Ewigkeit.
Aber das soll uns nicht passieren. Auch darum das Gebet Gottes für uns,
dass unser Glaube nicht aufhört.
Es wäre einmal wichtig, heute auf dem Nachhauseweg oder Spaziergang
zu überlegen Habe ich einen, für den ich bete? Habe ich einen,
der für mich betet? Weiß ich, dass einer für mich betet?
Also weiß ich, dass einer mich in den weiten Raum vor Gott mitnimmt?
Frère Roger aus Taizé etwa nahm seine Brüdern mit: Seid
nicht traurig, daß ihr manchmal keine Lust auf Gottesdienst habt, schleppt
euch einfach hin, den Rest macht der Heilige Geist schon selbst. Ich
bin gewiß - der liebe Gott picke sich schon seine Körner heraus
aus unsern auch müden Gedanken-, Ernährt sich Gott von unseren
Gebeten? Sehr fraglich - aber Lobe den Herren! Lobe den Herren
Wenn wir schon stolz sind daß uns die Pfannekuchen gelangen, und der
andere mampft sie so weg, sind wir enttäuscht, er könnte doch mal
ein anerkennendes Wort sagen. Da könnte man schon denken, dass der liebe
Gott bei so einem Projekt Welt doch auch ein paar haben will, die ihn loben.
Michelangelo hat ihn sicher gelobt, weil er kongenial ein Stückchen
Kongenialität erlebt hat in sich selber und Einstein die loben
ja beim Rechnen, oder das Rechnen ist Loben und sich Einfühlen, aber
ich kann es immer noch nicht beschreiben, wie intensiv diese Zeilen für
mich sind ... der dich erhält, wie es dir selber gefällt,
hast du nicht dieses verspüret ...? Dass wirs nicht jederzeit
sagen können, gerade im Blick auf diese Tragödien die unmittelbar
neben uns auf der anderen Seite der Erde passieren - und trotzdem : hast
du nicht dieses verspüret?
Auch im Blick auf das alte Jahr - hast du es nicht verspüret, dass du
durchgekommen bist und mehr als durchgekommen bist , und dass er dich gut
erhalten hat. Doch, ich glaube schon, dass Gott Lob braucht, aber vor allem
brauchen wir , dass wir loben. Warum sollen die Kinder Danke
sagen zur Mutter, Danke sagen, wenn sie wieder die dreckigen Sachen hinterm
Bett herausgesucht und in die Wäsche gesteckt hat? Warum sollen wirs
sagen? Damit wir es nicht für selbstverständlich halten, dass sie
dient. Das Danken ehrt uns, als die, die wahrnehmen können und etwas
merken können, und statt Klötze zu bleiben, graziös werden,
weil sei etwas von Grazie, von Gratia, von Gnade und Beschenktsein wissen.
Außerdem - Wenn Gott für uns betet, dass unser Glaube nicht
aufhört, dann betet er darum, dass unser Glaube an das Zugehören
zum Ganzen nicht aufhöre, dass wir wissen, Tochter oder Sohn des Universums
zu sein. Jeden Tag denke groß und achte deine Selbstachtung, und deine
Menschenbefreundung, lass sie gedeihen. Ein Theologe hat einmal gesagt
Gott erwartet von uns eine Erotik des Seins - also eine liebevoll
gestimmte Empfindung für fast alles, was lebt und uns gegenüber
ist. Und dass du gewollt bist, Mensch, und dass du eben nicht ein anderer
sein willst, Mensch, das ist wichtig. Also auch der Respekt vor der
allernächsten Umgebung , dafür braucht die Seele Kraft, dieses
Staunen über die Lust, zu sein, und sich zu zeigen.
Pferde auf der Weide- ihre wiehernde Lust. Und die Altgewordenen, wie sie
stolz darauf sind, über die Runden zu kommen, ohne dass sich jemand
in ihr Leben einmischt. Diese Lebensbegeisterung auf kleiner Flamme, vielleicht
auch mit Angst, dass man zu viel Wärme abgeben muss. Aber wie sie sich
mühen, ein Stückchen Würde zu bewahren, und ein Stück
Stolz. -Ich meine, im Blick auf 65 werden, merkt ihr, mit welcher
Sympathie ich über die noch Älteren rede, und hoffe, daß
ihr Glaube ans Leben nicht aufhöre.
Wenn Gott betet darum, dass unser Glaube nicht aufhört, dann betet er
auch darum, dass unser wohl tapezierter Verstand im Maß bleibt. Wir
wollen uns ja eigentlich nur lösbare Aufgaben stellen, und das andere
überlassen wir den Spezialisten. Es ist schon nötig, dass wir
mitfühlen und mitdenken in dieser Welt, weit über das, was mich
unmittelbar betrifft, hinaus. Manchmal hängen wir an einem Problem,
aber, nach Oliver Sacks, denk mal so, versuch das mal: Du hängst
nicht in einem Problem, sondern du stehst einem Geheimnis gegenüber,
einer Erweckung zum Leben und einem neuen Anfang. Vielleicht musst du jetzt
eine unendliche Stille und Finsternis durchqueren. Vielleicht ist dies der
Schoß, der Schoß der Nacht, in dem neues Leben dir entsteht.
Also, lass zu, wenn du dir dein verschlossen vorkommst, Gott brütet
was aus, in dir, mit dir. Das einfach Aufhören des Glaubens ist die
Katastrophe.
Dass auf einmal man gar nicht mehr weiß, ob man noch zugehört.
Also Alzheimer des Glaubens, auf einmal. Wo man Wissen hatte um eine unbedingte
Geborgenheit, ist auf einmal eine Leere, eine Öde - das Wort Öde
ist vielleicht passend. Gott betet, dass dein Glaube nicht aufhöre:
Leb mit deinem wirklichen Leben eine Zuversicht und jeden Tag erfahre als
eine neue Berufung. Mit einer Hoffnungszähigkeit des alternden
Goldgräbers - Martin Walser sagt das - das heißt auch, dass
man keinen mehr beweihräuchert - auch sich selbst dann nicht mehr. Und
dem realen Problem wirklich ins Auge sieht, und eine Art von Geben und Nehmen
entwickelt, die nicht mehr aufdringlich fordert, sondern: Empfangen
können wir doch nur, wenn wir wissen, dass wir begnadet sind, empfangen
zu dürfen. Und dass Gott nicht verpflichtet ist, mir den nächsten
Atemzug zu geben, geschweige denn das dreizehnte Monatsgehalt, - das ist
ja sowieso halbiert, aber trotzdem.
Dass dein Glaube nicht aufhöre, dafür betet Gott und bittet Gott
- denn Gott ist ja selber diese dynamische zeugende Ewigkeit, aus der heraus
die Zeit vorwärts springen kann. Dieses wache Hüpfen des Heiligen
Geistes in uns, nicht jederzeit - aber auf-der-Spur-bleiben, dass Gott etwas
in uns anfacht, nämlich anfacht ein Wissen vom Taktschlag des Lebendigen.
Von diesem Taktschlag des Lebendigen sagte Botho Strauss: Die helle
Freude des Kindchens, wenn ein Augenpaar über der Tischkante auf- und
abtaucht, daraus entwickelt sich im Kind ein Taktschlag des Wissens, des
Vertrautwerdens, des einigermaßen Glücklichwerdens.
Dazu gehört, was Elias Canetti sagte: Ich möchte tolerant
werden, ohne etwas zu übersehen, niemand verfolgen, auch wenn alle mich
verfolgen, besser werden, ohne es zu merken, trauriger werden, aber gerne
leben, heiterer werden, in anderen glücklich sein, niemand gehören,
in jedem wachsen, das beste lieben, das schlechteste noch trösten, nicht
einmal mich mehr hassen. Wenn Gott betet, dass unser Glaube nicht
aufhört, dann können wir versuchen, sogar in einem Blumentopf einen
Apfelgarten zu züchten (H. Brodkey). Amen