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Predigt 24. Dezember 2004

Keitumer Predigten Traugott Giesen Heiligabend 2004

Euch ist heute der Heiland geboren

Der letzte Gesprächsabend ging über „Gefühle zu Weihnachten“, und man erzählte vom Blick durchs Schlüsselloch, vom bunten Teller und von Märklinbaukästen, die Single Krankenschwester berichtete, wie sie gern die Heiligabend-Schicht im Krankenhaus übernimmt, und ein Mensch erzählte, wie ihm Weihnachten als Himmelsleiter erscheint, die verschiedenen Feste immer ein Treppchen Gewißheit. Und ein Mensch erzählte vom Vater, der einmal im Jahr seine Zither aus dem Schrank holte, um Weihnachtlieder zu spielen. Und einige schwärmten vom Krippenspiel ihrer Kindheit, wo sie die schönsten Rollen hatten.

Und dann kippte die heitere Stimmung: ein Mensch sagte, ich hab auch da mitgespielt. Aber mir ist's, als wäre ich aus dem Boot geworfen. Maria und Josef - ein schönes Märchen, jedenfalls scheint unser Erlöser nur einer von vielen. In Kreuzberg, in Neukölln, ganze Straßenzüge ohne Weihnachtsglanz - die feiern zu anderer Zeit ihren Ramadan, und dann stehe ich wie fremd da. Doch sie laden einen ein, den Fremden. Ich sehe meine Geschichte verlorengehen, mein christliches, europäisches Heimatgefühl. Ich weiß nicht mehr, was ich glaube, ich muß mich täglich neu erfinden.

Genau diese Spannung der Gefühle ist doch auch bei uns. Inniges Erinnern und Unsicherheit der Moderne. Und auch wem kein Weihnachten in die Kindheit schien, möchte beschert werden; irgendwann einmal möchte er vor allem selber bescheren - es ist ein Flirren in der Welt: Weihnachten hat was, nur was?

Ich finde, wir sind genau richtig beieinander. Denn das Zentralgestirn der Menschheit besorgt uns gerade die Freiheit, uns täglich neu zu erfinden. Jesus bürgt ja für die Unvergänglichkeit Gottes, ich kann ruhig mich ausprobieren; ich bleib in Gottes Grenzen. Er sichert meine Kontinuität. Jesus will keine Lobgesänge, er will nicht angebetet sein, er saugt gerade nicht uns Kraft ab sondern will, daß wir einander ehren als Kinder Gottes. Er hat mal gesagt: Wer an mich glaubt, wird die Werke auch tun, die ich tue, und er wird noch größere als diese tun. (Johannes 14,12). Also nicht mehr in der Vergangenheit suchen mach Einschlüssen des Ewigen, sondern heute in dir sieh Gott am Werk und du wirst Gutes zustande bringen.

In dir Christus geboren, du seine Krippe. Du birgst ein Stück von Gottes-Sein. Dein Lieben und Geliebtwerden nimm als Gottes Potenz. Die er dir anvertraut. Du Maria oder Josef, Krippe oder Stall, was immer dir passt... Und sage nicht: du hast keinen Raum in der Herberge. Du, sage nicht, ich will nicht der Liebe Gestalt geben, Maria hat sich auch Gottes erbarmt; sag' nicht, ich will nicht Vater der Liebe sein, Josef hat sich auch in Dienst nehmen lassen. Wie soll Gott denn zur Welt kommen, wenn nicht durch dich hindurch?

Durch deine Hände legt er Hand an die Welt, und durch deine Augen bewundert er die Schönheit der Welt, und durch deine Ohren nimmt er die Hilferufe der Leidenden auf, und durch deinen Leib erfährt er die Freuden der Liebe und durch deinen Geist das Wunder der Befreundung.

Gott wird Mensch, kommt in diesem einen zur Welt, daß der uns lehre, wie Gott in uns allen zur Welt komme. In Jesus betrat Gott selbst die Erde, - das ist der Kern von Weihnachten. Seitdem können wir uns eines erdverbundenen leibnahen, gefühlvollen Gottes sicher sein. Der alles am eigenen Leib erfahren hat und erfährt, Wonne und Folter. Gott erklärt sich mit dem Jesus einig, er lebte seinen Lebenslauf mit. Am Anfang der Stall, am Ende der Galgen. Dann ist er wirklich kompetent in Freude und Leid.

Natürlich müssen wir neu lernen, daß andere Religionen auch was von Gott wissen, das Herz der Welt, das Gehirn der Welt – der, die das Ganze spiegelt sich doch in allem Lebendigen, denkt sich seinen Teil in allem, was denkt. Wichtig, daß wir Christen einbringen, was wir von Gott zu wissen meinen. Und das ist Ehre sei Gott in der Höhe , und Frieden auf Erden. Also das Geheimnis der Welt will keine Ehre für sich, sondern legt seine Ehre ein in den Frieden auf Erden und daß wir Wohlgefallen aneinander haben.

Dafür braucht er uns als seine Glieder, seine Strahlen, seine Leitungen, seine Väter, Mütter, Liebende, Helfer Freunde, Arbeiter, Sänger. Braucht dich, liebt dich. Lass dich lieben, lass dich brauchen und versteck dich nicht hinter Verbitterung. Denk groß von dir. Er will dich zur Krippe. Aber es ist nicht das Wichtigste, ob du dein von Gott Geliebtsein begreifst, sondern daß du geliebt bist. Es ist nicht das Wichtigste, ob du dein von Gott Gebrauchtsein begreifst, sondern daß du von Gott gebraucht bist. Das ist Kern des Weihnachtsfestes: Dir ist heute der Heiland geboren. Darum ja auch machen wir nicht das Fest gut, sondern das Fest macht uns gut. Das Fest befestigt uns in der Zugehörigkeit zu dem Christus und seinem Gotteswissen. Auch wenn wir davon wenig begreifen, wir dürfen feiern: Wir sind in einem guten Zusammenhang.

Spürst du den guten Zusammenhang? Doch bitte merke dich von guten Mächten wunderbar geborgen, dein Einzelkämpferdasein ist doch nur eine kleine Rolle. „Der Blick in das Gesicht eines Menschen, dem geholfen ist, ist der Blick in eine schöne Gegend“ (B Brecht), das spürst du doch auch. Heimweh um eine ausgesöhnte Menschheit  hast du doch auch. Sieh doch deinen Wunsch, zu erfreuen. Tief innen bist du ein Depot der Liebe. Auch wenn du viel Zeit für dich brauchen solltest. Liebe lässt Luft, lässt dem andern sein Tempo, Liebe rechnet nicht auf.

Auf den Krippenbildern von Rembrand strahlt nur das Gesichtchen des Kindes in der Krippe. Aber dieses Leuchten springt auf die Profile der Umherstehenden und gestaltet sie zu Antlitzen. Auf die um die Krippe Versammelten ergießt sich eine Freudenglut: Du gut, schön, wichtig, groß. Die ersten Zeugen des Jesus sagen diese Botschaft weiter, mächtig schwillt der Strom des Glaubens an, Irrtümer und Machtmissbrauch eingeschlossen. Und doch: auch du gesiegelt mit dem Zeichen „gottgehörig“, du geliebt, gebraucht. Also steh deine Angst durch, wälz sie nicht ab, was die Angst wieder noch größer machst. Du wunderbar - mach dich nicht nieder, denk gut von dir. Selbstbewusst schau dem Nächsten ins Antlitz; schenkst du ihm deine Achtung, lässt er das Verachten.

Im Kern ist Weihnachten eine gigantische Besserungsanstalt. Gott schenkt sich selbst uns ein, wir fühlen uns erhoben. Wir wollen selbst erheben, wollen Freude schenken; wir machen gern schön - dann sind wir selbst Krippe oder kleine Ableger Gottes. Und die Menschen werden sich interessieren für unseren Glauben: sehend unsere friedlichen Taten werden sie Lust kriegen auf Jesus. Keine Bange davor, dich täglich neu zu erfinden. Amen.


 




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