Predigt 13. Juni 2004
Keitumer Predigten Traugott Giesen 13.06.2004
Gott ist Liebe
Johannes 13, 34 f
"Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich
euch geliebt habe. Auch ihr habt einander lieb. Daran wird jedermann erkennen,
dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt."
1. Johannesbrief 4, 16-21: "Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott und Gott in ihm. Darin ist die Liebe bei uns vollkommen,
dass wir Zuversicht haben am Tag des Gerichts; Furcht ist nicht in der Liebe,
sondern die vollkommene Liebe treibt die Furcht aus; denn die Furcht rechnet
mit Strafe. Wer sich aber fürchtet, der ist nicht vollkommen in der
Liebe. Lasst uns lieben, denn er hat uns zuerst geliebt. Wenn jemand spricht:
Ich liebe Gott, und hasst doch seinen Geschwister, der ist ein Lügner.
Denn wer seinen Geschwister nicht liebt, den er sieht, wie soll er Gott lieben,
den er nicht sieht? Dies Gebot haben wir von ihm, dass, wer Gott liebt, dass
der auch seinen Bruder liebe."
Gewaltig dieses Wort - wie es löffelweise uns einspeisen? Wie soll ich
davon singen und sagen? Ich bin doch selber bedürftig, dass ich gespeist
werde. Gott ist Liebe - die zwei größten Worte der Menschheit
als ein und dasselbe, kein Unterschied, ob Gott in uns bleibt und Wohnung
in uns nimmt, oder ob wir in der Liebe bleiben und die Liebe zu unserer
Lebenssphäre wird. Gott und Liebe sind eine Wirklichkeit (P. Tillich).
So ist denn das Weltall eine Ausgeburt der Liebe, die Vulkane, die Planeten,
die Stürme und Wüsten, die Gebirge und die Wolken, die Regentropfen
und Ozeane Materie gewordene Liebe, die Milchstraße - eine Sprache
Gottes, und die Pflanzen, die Tiere und Menschen von der Liebe ins Sein gerufen,
gestaltete Liebe. Und jeder einzelne Mensch von der Liebe ins Leben gerufen.
Wir, die Tiere auch, aber wir erst recht, sind geschaffen um in der Liebe
zu bleiben, die Liebe zu leben. Bevor uns das Christus offenbarte, ist Gott
vor allem als Bedrohlicher und Machtvoller gefürchtet worden. Herr
Zebaoth Herr der himmlischen Heerscharen heißt er im alten
Testament, Blitz und Donner sind sein Zepter, er habe die Erde unter Wasser
gesetzt, Feuer vom Himmel regnen lassen auf Sodom und Gomorrah, habe
Heuschreckenschwäme zur Strafe herkommandiert.
Bevor er als Liebe von Christus gekennzeichnet wird, ist er Herr und Gebieter,
Züchtiger und Zuchtmeister, um den Menschen in seinem bösen Trachten
an die Kandare zu nehmen. Und es gibt noch viele Fromme, die haben die Sensation
des Christus gar nicht mitbekommen, die rutschen noch immer auf Knien lange
Wege, um Gott gnädig zu stimmen; es gibt Fromme, die kleiden und essen
und verhalten sich wie die Vorfahren, weil sie Gott für unveränderbar
und ehern halten; als habe er damals gesprochen und fertig. Sie sehen Gott
als Gesetzgeber und Richter, Ehrfurcht und Gehorsam stehe uns an, und Kirche,
der Tempel, die Moschee seien vor allem Erziehungsanstalten.
Dagegen offenbart Christus Gott als einen glühenden Backofen voll
Liebe (Luther). Sein Wesen ist mütterliches, väterliches
für uns Dasein und zärtliches Lieben dazu. Das Verlorene suchen
ist sein Metier, die Schuldigen zur Heilung rufen, die Besessenen freimachen,
uns mit heiligem Geist anstecken, dass uns Herrschaft über uns selbst
eingeräumt ist. Nur zwei, drei Blitzlichter von der Revolution durch
Jesus: Jesus heilt am Sabbat - die Frommen halten außer Verehrung Gottes
nur Nichtstun für geboten. Jesus aber sagt: Heilen, lieben ist Verehrung.
Ein anderes Bild: Die Frommen meinen, es reiche, gerecht zu handeln, also
was du willst, das man dir tu, das tu du auch anderen. Jesus
sagt, Liebet eure Feinde - denn Gott lässt auch seine Sonne
scheinen über Gerechte und Ungerechte (Matthäus 6,44.46). - Noch
ein Bild: Jesus erzählt von den verlorenen und wiedergefundenen
Söhnen. Der eine hat den Vater ausgenutzt, der andere hat ihn als harten
Rechner verkannt. Beide holt er in seine Liebe. Und für den Gott der
Liebe lässt sich Jesus in Stücke reißen: Gott, sie
meinen, dir zu gefallen, indem sie mich erschlagen. Vergib ihnen, sie wissen
nicht was sie tun. -
Das ist die Offenbarung des Jesus Christus: Gott ist Liebe, und Furcht ist
nicht in der Liebe. Also fürchtet euch nicht vor Gott, fürchtet
euch vor euch selbst, dass ihr nicht liebt. Liebt ihr, dann lebt ihr als
meine Brüder und Schwestern, auch wenn ihr mich religiös nicht
verehrt; liebt ihr nicht, kennt ihr mich nicht, auch wenn ihr das
Glaubensbekenntnis mitsprächet.
Gott ist Liebe. Alle Liebe, die ein Mensch dem andern getan hat, hat er Gott
mit getan.- Das ist die Logik des Jesus Christus: Was ihr getan habt
einem meiner geringsten Brüder und Schwestern, das habt ihr mir getan
(Matthäus 25,40), "wer ein Kind aufnimmt, der nimmt mich auf "
(Matthäus 18,5). Gott materialisiert sich in seiner Kreatur, er wird
Mensch, er fühlt in uns Kälte und Wärme, er wird mit verachtet
und geehrt; wenn einer keine Arbeitsstelle bekommt, ist eins von Gottes Gliedern
ungebraucht. Umarmen sich zwei, dann ist Gott in den beiden nicht mehr
vereinzelt. So ist Liebe das einzige, worauf es ankommt. Das sind die Helden
und die Heiligen, die ganz im Lieben aufgingen: Elsa Brandström, Gandhi,
Albert Schweizer, Mutter Theresa, Kofi Anan heute und die vielen still das
Nötige tun. Die unwiderstehliche Kraft der Liebe verließ sie nie,
sie ist mehr als Menschenfreundlichkeit oder Gutmütigkeit: Wenn wir
einen Fremden aufnehmen aus einem fernen Land, wo er verhungert oder erschlagen
wäre, oder wenn du in einem fernen Land ein, zwei Menschen das
Überleben sicherst, dann scheint Gottes Liebe durch dich hindurch.
Liebe ist mehr als Gerechtigkeit und gewaltiger als Hoffnung und Glaube.
In jedem Augenblick wahrer Liebe wohnen wir in Gott und Gott in uns.
"Liebe achtet den Anspruch des andern auf Anerkennung seines Wesens, achtet,
aber auch den eigenen Anspruch auf Anerkennung seines Wesens. " - Gut gesagt,
aber keinen aus Ghana, der auf dem Flugplatz im Container sein Leben fristet,
habe ich anerkannt in seinem Wesen, habe nicht versucht, mit ihm ins
Gespräch zu kommen. Kann mich Gott lieben, wo ich meinen schwarzen Bruder
wie Luft behandle?
Gott leidet mein Schuldigbleiben mit. Und schleudert doch nicht
fürchterliche Strafen gegen den, der Liebe versagt. Das alte
Götterbild von Zeus und vom Herrn der Heerscharen hat Jesus eingestampft.
Gott ist Liebe, Liebe richtet nicht, richtet auch nicht gnädig, richtet
überhaupt nicht, erst recht: richtet nicht hin. Sondern richtet her,
macht schön. Liebe setzt frei, verzichtet darauf, das Geliebte sich
ähnlich zu machen. Wenn der Mensch meint, es sei sein Glück,
außenrum um Gott zu gehen, dann lässt er ihm wohl den Umweg.
Gott findet auch die, die ihn nicht suchen (Jesaja 65,1). Jedenfalls
will er uns nicht zu sich zwingen durch Angst vor Strafe. Furcht und Furchtmachen
ist nicht in der Liebe. Auch die Furcht vor Strafe ist nicht in der Liebe.
Furcht ist nicht in der Liebe, also auch nicht mit uns selber geizen. Nietzsche
sagte: Gegen die Männerkrankheit der Selbstverachtung hilft es
am sichersten, von einer klugen Frau geliebt zu werden. Denn die kluge
Frau weiß: Das größte Glück besteht nicht darin,
geliebt zu werden, sondern zu lieben (Camus). Sie hilft dem Mann, zu
lieben - auch, vielleicht erst recht: die Kinder, und so findet er sich selbst
liebenswert im Laufe der Zeit. Einander nähren, sich erkennen wollen,
erkannt sein wollen, das Anfassen, sich Austauschen, heilen wollen ist Liebe,
ist Gott in Aktion.
Unser Lieben ist nicht Erwiderung der Liebe Gottes, sondern deren Fortsetzung,
ist ein Erscheinen des Ewigen in der Welt. Lieben nicht nach dem Maß
der Ansehnlichkeit des Geliebten, sondern weil auch durch dieses Wesen das
Lieben gehen will. Mancher ist sehr abhängig, dass alles stimmt:
Gerüche, Farben, Stimmenklang, Kleidung - dann muß er ziemlich
sich ums Lieben mühen. Andere haben eine leichtfüßige
Menschenfreundlichkeit, die Widerstände leicht überspielt - jeder
im Rahmen seiner Kräfte!
Unser irdisches Lieben ist viel mit Angst besetzt: zu versagen, erwischt
zu werden bei Vergeudung, und wie rasch die Zeichen des Begehrens zerflattern,
und immer ist dies verschwommene Wort Liebe voll rätselhafter
Ansprüche: lieben oder nur gern haben - was ist los? Lieben wir einen
andern um dessenwillen, was in ihm ist? Oder liebt man, um etwas willen,
das in einem selber ist? - Oder ist es das Lebendige zwischen uns, das Gespinst,
das Gespräch, das Sich- im- andern- spiegeln? Beim andern seine Angst
ausatmen und Zuversicht aus seinem Atem schöpfen; Bejahekraft,
Erfüllung, Linderung - das stiften sich die Liebenden. Doch, so Hilde
Domin: "Du und ich, von warm nach kalt, wie schnell das geht, Haut und
Gänsehaut."
Erlöst werden zur Liebe zu Gott, das zeigt sich darin, dass man
überall das Gute zu finden und zu schätzen weiß. Lieben befreit
aus der Gefangenschaft der Bedeutungslosigkeit. "Lieben heißt, den
Grund verstehen, den Gott hatte, das zu erschaffen, was wir lieben" (Gòmez
Dàvila). - Katharina von Siena im 14 Jahrh. hörte Gott sagen:
Die zum menschlichen Leben notwendigen Dinge habe ich an euch
unterschiedlich verteilt, damit ihr gezwungen seid, euch gegenseitig Liebe
zu erweisen. Ich will, dass der eine auf den andern angewiesen ist, und ihr
alle als meine Diener die von mir empfangenen Gaben und Geschenke mit anderen
teilt.- So ist mein, dein Lebenswerk, die Arbeit der Liebe, ist
Gottesdienst.