Predigt 27. April 2003
Keitumer Predigten Traugott Giesen 27.04.2003
Engel und wir
Die Befreiung des Petrus aus dem Gefängnis als Werbegeschichte für
die Kirche, und was wir von ihr haben
Apostelgeschichte 12, 1-12
Es legte aber der König Herodes Hand an einige von der christlichen
Gemeinde. Er meinte, das sei im Sinne des Volkes. Den Jakobus, den Bruder
des Johannes, ließ er mit dem Schwert töten. Den Petrus aber nahm
er gefangen, warf ihn ins Gefängnis und überantwortete ihn vier
Wachen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen, später sollte er hingerichtet
werden. So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten; aber die Gemeinde
betete ohne Aufhören für ihn zu Gott. Und in jener Nacht, als ihn
Herodes vorführen lassen wollte, schlief Petrus zwischen zwei Soldaten,
mit zwei Ketten gefesselt, und die Wachen vor der Tür bewachten das
Gefängnis. Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete
auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und
sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.
Und der Engel sprach zu ihm: Gürte dich und zieh deine Schuhe an! Und
er tat es. Und weiter: Wirf deinen Mantel um und folge mir! Und er ging hinaus
und folgte ihm und sie gingen durch die erste und zweite Wache und kamen
zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt; das tat sich ihnen von selber
auf. Und sie traten hinaus und gingen eine Straße weit, und alsbald
verließ ihn der Engel. Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach
er: Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt und
mich aus der Hand des Herodes errettet hat. Und als er sich besonnen hatte,
ging er zum Haus Marias, der Mutter des Johannes mit dem Beinamen Markus,
wo viele beieinander waren und beteten.
Sicher gab es in den Anfängen Christlicher Kirche Druck von Seiten der
eingesessenen Religion. Verständlich dies - noch jetzt nach 2000 Jahren
christlicher Erziehung tun wie uns schwer, Menschen anderer religiöser
Prägung ihre Bräuche zu lassen, etwa das Kopftuch wollen wir ihnen
in Schulen nicht gestatten, das Minarett im Viertel sollte lieber nicht sein,
- kein Wunder, dass die erste Christenheit beargwöhnt war in Jerusalem
und darüber hinaus. Mitten durch die Schar der Apostel ging ja auch
der Streit, was nun so neu an den Jesusgläubigen sei. Dass neben dem
Tempel und Lehrhaus eine andere Abbildung von Gemeinschaft den Christen anstehe,
- das klärte sich nur langsam, zum Bild von Kirche. Die einen sagten:
Wir sind eine Erneuerungsbewegung innerhalb des Judentums,
selbstverständlich zahlen wir die Tempelsteuer mit,und lassen unsere
männlichen Nachkommen beschneiden, die Taufe ist nur ein Zusatz. Aber
Paulus, der Schriftgelehrte, der wusste, welch rigoroser Bruch der Glaube
an Christus bedeutete: Wir sind alle Kinder Gottes durch den Glauben dem
Christus nach, und nicht als Nachkommen aus Jüdischer Abkunft. Darum
dürfen sich die Christen nicht erst der jüdischen Zugehörigkeit
versichern und dann zusätzlich sich taufen lassen, das wäre Verrat
am Evangelium, poltert Paulus gegen Petrus (Galater 2), und hat sich mit
schneidenden theologischen Argumenten durchgesetzt: Christus wäre umsonst
gestorben, wenn wir andere Bedingungen für die Liebe Gottes hochhielten
etwa die Beschneidung oder das Einhalten der Sabbatsruhe oder das
Halten der sonstigen Gebote.
Aus jüdischer Sicht war die Behauptung Allein aus Gnaden
- blinder Enthusiasmus und überheblich. Israel gab sich viel Mühe,
das Leben anhand der biblischen Gebote zu handhaben, und jedes der zehn auch
für uns gültigen Gebote hatte Untergebote, sogar die erlaubte
Schrittzahl für den Sabbat war festgelegt, und jetzt kamen die
Überflieger der Jesus-Sekte und machten eine freizügige Kirche
auf, das war doch nicht seriös, das durfte nicht sein.
So die religiöse Lage Ende des ersten Jahrhunderts, aber das Zentrum
des geistigen Ringens war nach Zerstörung des Tempels durch die Römer
sowieso nach Rom verlagert, - die Christen lebten an die 300 Jahre mehr oder
weniger versteckt ihren Glauben, bis dann auf einen Schlag beim Zerfall des
römischen Reiches die Kirche das einzige Rückgrat darstellte.
Die Apostelgeschichte des Lukas nun erzählt aus den Anfängen der
Kirche, hält auch fest, dass einige Jünger den Märtyrertod
starben. Die Geschichte von der Rettung des Petrus aus dem Gefängnis
ist eine erbauliche Geschichte, die man erzählte, um den Siegeszug des
christlichen Glaubens zu bebildern. Auch die wunderhafte Rettung des Petrus
aus dem Gefängnis belegte die bevorzugte Behandlung bei Gott, war auch
ein Zeugnis für die Glaubenskraft des Petrus - die ganze Apostelgeschichte
des Lukas soll ja neue Gläubige für die junge Christenheit gewinnen.
Aber uns sagt diese Geschichte etwas anderes. Als Missionsgeschichte ist
sie abgelegt. Aber als Rettungsgeschichte für innen ist sie (mir)
hochaktuell! Hört nur: Und siehe, der Engel des Herrn kam herein
und Licht leuchtete auf in dem Raum; und er stieß Petrus in die Seite
und weckte ihn und sprach: Steh schnell auf! Und die Ketten fielen ihm von
seinen Händen.
Nehmen wir es als Bild einer inneren Gefangenschaft (E. Drewermann).
Ein Mensch sieht sich allseits bewacht und kontrolliert, gefangen, gefesselt,
eingeschnürt, die Nächsten tauchen nur als als Wärter auf,
als Schinder, als Festhalter. Gut, dass der Mensch draußen Gleichgesinnte
weiß, eine Gemeinde, die für ihn betet. Was er drinnen und die
draußen für einander tun können, ist viel. Sie halten ein
Gespräch in Gang, das schließt dies kleine Schicksal an den Herrn
der Geschichte an. Betend stärken sie sich: Wir gehören dem, der
die Allmacht ist.
Wie heute einer einfach in diese Kirche geht und betet, mitten aus dem Alltag
anhält und wie man ein Kabel in die Steckdose steckt, um die Batterie
aufzuladen, so geht man nach St. Severin, oder eine andere warmgebetete Kirche,
setzt sich hin, und der Mantel der Allmacht Gottes hüllt einen ein.
Es kann auch ohne Kirche einem Passieren, dass ein Engel ihn berührt
- ihn sanft wieder anschließt an den Lebensstrom der Freude, eine
unhörbare, aber deutliche Stimme sagt dir dann: "Fürchte dich nicht",
gemäß Jesu Wort: Fürchtet nicht, die euren Leib doch
nur töten können, eure Seele aber nicht" (Matthäus10,28).-
Das ist stärkende Gewissheit für die Freiheit unserer Seele.
Natürlich sind wir viel Leib. Und ängsten uns sehr, aber ein Engel
Gottes tritt in den Kerker unseres Ichs, und die Fesseln fallen ab, und die
Kerkertüren öffnen sich, und die Wachen verschlafen diese innere
Auferweckung.
Es ist eine Mutmachgeschichte, wie Petrus im Gefängnis von einem Engel
aus der Gefangenschaft geführt wird. Sie sagt auch Dir, mir: Du,
fürchte dich nicht, gefangen in deiner Angst, getragen von seinem Wort,
gesandt in den neuen Tag. Und im nachhinein siehst du da die abgestreiften
Fesseln liegen, das überwundene Gefängnis - vielleicht lesen
Strafgefangene diese Geschichte anders. Zu Unrecht im Gefängnis
Festgehaltenen ist sie ein Versprechen: auch du stehst vor dem Wunder der
Befreiung, Gott schickt seinen Engel.- Viele in den Verliesen Saddams werden
die Amerikaner als Befreier, als ihre Engel begrüßen, mancher
zu Unrecht Einsitzende findet einen Anwalt, der sein Verfahren wieder aufnimmt,
und ein Engel öffnet das Gefängnis. Schwerkranke finden einen Engel,
der sie wieder genesen lässt.
Jeder von uns weiß sicher einen, dem er Gottes Engel herabfleht, dass
sein Gefängnis gesprengt werde. Der eine sitzt in einem panzergleichen
Gedankengebäude fest und braucht dringend einen Engel, der ihm eine
Tür fürs freie Denken öffnet. Oder ein Engel bekehre die Tochter
von dem schwierigen Mann, oder ein Engel befreie aus den Fängen der
Sekte, oder ein Engel bezwinge die bleierne Müdigkeit durch eine neue
Liebe. Oder ein menschenfreundlicher Lehrer halte die Klasse aus und bekehre
sie vom Mobbing und gehe noch dem in sich selbst verkrümmten Schüler
nach und bestärkt dessen geschundenes Selbstvertrauen. Oder einer braucht
den Engel der Erkenntnis, dass er endlich sich traut, Bilanz zu ziehen, damit
auf bereinigtem und bescheidenem Niveau Neues werden kann.
Engel - das sind geballte Gottesenergien, Rettungskräfte eben, die
berühmte Hand dazwischen, normalerweise in Menschengestalt, und die
weiß gar nichts von ihrem göttlichen Auftrag. Die sagt einfach:
Ich tat nur meine Pflicht und macht weiter. Schutzengel - das
sind Leibwächter der Liebe, auf dich persönlich angesetzt. Du hast
ihn erlebt. Vielleicht könntest du sogar sein Gesicht malen, sein Gewand,
seine Stimme hören. Oder erscheint dir Bewahrung eher gestaltlos? Jedenfalls
war schon oft eine Gottes Kraft mit dir zu Gange, ein Sog, eine Idee, die
dich bewegte. Und auch jetzt.
Angenommen, du fühlst dich mutlos und leer, dann sollst du doch wissen:
Es ist ein Engel für dich da, der dich behütet. Du darfst eine
Strecke müde sein, du kannst schwach sein und versagen. Aber eine Macht
bewahrt dich vor dem Zerfall. Du wirst geweckt und auferstehen mit neuer
Kraft, wenn es dran ist. Solange steht dein Engel bei dir und hält Wacht.
Oder sprühst du vor Energie? Kannst alle um dich herum begeistern für
ein Projekt, kannst aber übermütig auch viel falsch machen? Dann
hör auf deinen Engel, der dich im Maß hält. Du bekommst genug
Signale: Bügel nicht über die andern weg, sieh auch die andern
von gutem Geist behaucht.
Auch im Verkehr sei achtsam, dein Engel kann nicht alles alleine. Ja, die
Bewahre-Energie ist viele Male größer als die Vernein-Energie.
Dein Selbsterhaltungstrieb ist ein Trumpf, mit dem dein Engel dich zur Vernunft
lockt, das Rasen und Drängen, Vorfahrterzwingen zu lassen.
Es gibt Gewalt und Böses, da sind wir hilflos, engellos. Da fühlen
wir uns verlassen und verloren. Dann müssen wir unsern Engel rufen,
und wenn er uns nur den Schweiß von der Stirn wischt oder ein Pflaster
bringt oder seinen Arm uns umlegt oder uns Lauf, Forest, lauf
anfeuert und unsere Feinde ablenkt. Engel haben manchmal Flügel, oder
geben Flügel. Einer sagte: Warum können Engel fliegen? Na, weil
sie sich leicht nehmen. Auch wissen sie, es trägt sie einer.
Engel, das sind Glaubenskräfte gegen "Innenweltverschmutzung": Du, dein
Ich ist geschützt. Du brauchst dich nicht ängsten und andere auch
nicht. Du brauchst nicht andere unter Druck zu setzen, du gehst nicht verloren,
du wirst nicht mies. Gott steht in Gestalt deines Glaubens um dich, dein
Vertrauen in die Liebe hat die Gestalt eines wunderschönen Engels. Auch
darum haben ja die gemalten Engel so schöne Angesichter - weil Gott
einem jeden Menschen ein schönes Bild als Entwurf von sich mitgab. Dem
sollen wir im Laufe des Lebens ähnlich werden. Bitte, sei deines
schönen Ichs gewiß; und die Angst vor Menschen kannst du in Grenzen
halten. Und du erkennst in anderen auch ihren Engel. Dem komm zur Hilfe mit
deiner Schutz- und Freudenkraft.
Unsere Seele ist sehr bildsam und leicht verformt, schon ein ängstliches
Erziehen kann eng machen und das Wünschen vereisen lassen. Dann braucht
es Engelkräfte, die dir helfen, dich wieder lieb zu gewinnen und dich
mutig machen. Der Einsturz deines Gefängnisses kann Jahre dauern, und
die Fesseln, die Knebelsätze, die wenn-dann Sätze, dann bist du
Papas Liebling nicht mehr, oder so - gellen lange, bis sie entschärft
sind und begraben. Auch dir ist dieser Engel verheißen. Laß ihn
ein, der dich von deiner Gefangenschaft befreit - von der Sucht nach Sicherheit,
vom Geiz, der in dir festhält und nichts verschenkt, von dem, was in
dich hinein regiert, und du erlebst es als Besatzung. Du sollst frei werden,
Tochter, Sohn Gottes, von Engeln, von guten Mächten wunderbar geborgen,
eben.