Keitumer Predigten
Traugott Giesen 18.02.2001
Vom Durchhalten des Glaubens
Markus 9, 22 ff: "Wenn du etwas kannst,
erbarme dich unser und hilf uns!" sagt der Vater eines kranken Kindes zu
Jesus. Der aber sprach zu ihm: "Du sagst: Wenn du kannst - alle Dinge sind
möglich dem, der da glaubt." Sogleich schrie der Vater des Kindes:
"Ich glaube; hilf meinem Unglauben! "
Glaube und Unglaube sind nah beieinander.
Du willst deinen Glauben durchhalten; dein Glaube soll dir Kraft geben
durchzustehen, du bist bedroht in deinem Ich; dein Bewusstsein von dir
- ein Wort kann dich fällen und du bist niedergeschlagen, dein Glaube
wackelt, du wankst, du stellst deinen Glauben in Frage, du siehst deinen
Glauben in Frage gestellt. Anfechtung - ein starkes altes Wort für
eine immer moderne Sache: Widerspruch von überall - "Verlass dich
nur auf dich alleine" oder: "nur das Zählbare zählt".
Doch es ist bei aller Skepsis in uns ein
Glaube, dass wir zu einem guten Gott gehören. Und bei allen schlechten
Erfahrungen mit schwierigen Menschen bleibt doch eine Zuversicht, dass
es gut werden wird. Dies Traurig-Fröhlich, Gut-Böse, dies Enttäuschen
und Beglücken, dies "gute Zeiten - schwere Zeiten" haben Menschen
in ein Weltbild gefüllt, das zwei Herren hatte: Und erst in einer
letzten Schlacht werde der Gott des Lichtes und der Liebe, der Vater Jesu
und unser aller sich als Sieger erweisen. Das aber ist zuviel der Ehre
an einen Widersacher Gottes. Es ist nur der Schatten, den Gott wirft, was
noch dunkel ist. Wunderbar hat das der grosse Hiob erfasst: Er ruft Gott
zum Helfer gegen einen Gott, der ihn enttäuscht. - Den Gott, den er
für das Schicksal zuständig hält, also auch für seine
Gebrechen, den brüllt Hiob an:
"Ich weiss dass mein Erlöser lebet,
und mich letztlich ziehen wird aus den Wassern der Angst, er wird sich
und mich über den Staub erheben" (nach Hiob 19, 25).
Oder mit den Worten des grossen Bonhoeffer:
"Wer ich auch bin, Du kennst mich, dein bin ich, o Gott."
Jesus hat die Liebe Gottes vorgelebt, und
das bringt ihn an den Galgen wegen Gotteslästerung. Jesus kann einen
Augenblick lang Gott nicht verstehen, sieht sich verlassen von ihm. Vielleicht
hat ihm auch ein Zuschauer unterm Kreuz zugerufen, was Hiobs Frau ihrem
Mann verächtlich zubrüllte: "Sag Gott ab und stirb." Aber Jesus
sagt: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" (Matthäus
27, 46) - Er hält Gott bei sich, ihm ist er der Ganze, er ist ihm
treu, auch wenn das Gegenüber alles Gesicht verloren hat. Jesus stirbt
mit ausgestreckter Hand hin zu Gott. Gott ist das, wohin wir ausgestreckt
sind. Jesus stirbt nicht in sich eingewickelt, sondern sich sehnend. Das
Durchhalten des Glaubens ist: ausgestreckt leben, ausgestreckt zum ergänzenden
Gott. Der Adam in Michelangelos Gemälde - sein Wesen ist: hingestreckt
sein zu der Energie, die aufrichtet. Menschsein ist: ergänzt werden,
ist mich als Teil der Gottesfülle merken - eben nicht biologisch,
als Ableger nur aus dem Tierreich; eben nicht als Mitmensch nur, ausgeliefert
der Bedeutung, die ich für andere habe, eben nicht Verbraucher, Verkehrsteilnehmer,
Mediennutzer nur, sondern du Mensch wirst ganz mit Gott, bist sein Werk,
bist sein Gesprächsgegenüber, bist sein Zukunftsgefährte.
"Und fahr ich durch die Höll, ist
Gott doch mein Gesell" - kann man ein Kirchenlied und eine Camelreklame
variieren - dieses Ergänztwerden von Liebe, Heilgemachtwerden, Vollständigwerden,
dieses in ein gutes Ganzes gehören, das ist meine Ikone, mein Glauben
als Energiefeld gedacht. Nicht du machst dich zugehörend, sondern
du bist vom Wesen her Gottes Äusserung. Das glauben: mit allen Begabungen
und Verletzbarkeiten deines Körpers, mit allen Druckfehlern und Versprechern
deiner Seele bist du Baum auf Gottes Feld, und Gärtner im Garten Gottes.
Die Bilder überlagern sich, und viele
andere von Schaf und Herde, von Kind und Familie, von Körper und Gliedern
bringen ihren Tupfer von Wahrheit dazu. Auch bist du es nicht, der du dich
für Gott geeignet machst. Ja, wir sollen die Richtung wissen: Durch
uns mehr Liebe in die Welt. Ja, schaffet, dass ihr selig werdet, mit Achtsamkeit
und Fleiss. Denn - nicht zu fassen, was Paulus als Begründung gibt:
Schaffet, dass ihr selig werdet, denn
Gott ist es, der in euch ausrichtet das Wollen und Vollbringen (Philipper
2, 13).
Durchhalten - dieses Gott liebt
mich und Gott braucht mich. In Erfahrung: Keiner mag mich. Wir fühlen
gern von allen Seiten Zuneigung. Als wäre die Menschheit dazu da,
mich zu lieben. Aber sie sind mit sich beschäftigt, haben mit sich
genug zu tun. An Gottes Liebe glauben, auch wenn das Leben voll Mühe
ist. Und dein Gewissen ist dir eingeräumt als Ort der Zwiesprache
über Gut und Böse. Du kannst gegen den Mainstream des Denkens
angehen, du steh für das ein, was du als richtig erkannt hast, und
pflege deinen Schallverstärker für kleine moralische Geräusche
in dir. Gott rundet dich ab, du wirst in Liebe ergänzt. Durchhalten,
dass du ins Werden eingelassen bist. Du mitgenommen auf Gottes Fahrt durch
die Wirklichkeit bis ans äusserste Meer. Und warum die Welt noch nicht
heil ist, und warum du noch Mühe hast, und warum so viel Not noch
ist - weil die Schöpfung noch im Werden ist, und Gott noch leidet,
solange seine Kreatur leidet - darum hast du in Gottes Team auch was auszuhalten
und: selig sind, die Leid tragen und es nicht abwälzen.
Paulus stärkt mit einem grandiosen
Glaubenslied, Römerbrief 8. Kapitel: Wir wissen, dass denen, die Gott
lieben, alle Dinge zum Besten dienen. Ist Gott für uns, wer kann wider
uns sein? Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat
ihn für uns alle dahingegeben - wie sollte er uns mit ihm nicht alles
schenken? Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist
hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der
gestorben ist, ja viel mehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes
ist und uns vertritt. Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal
oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blösse oder Gefahr oder
Schwert?
Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben,
weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch
Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns
scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus offenbar ist,
unserm Herrn.
Mich begeistert daran auch, wie die Zukunft
ausgelotet wird: als Kreatur, als Schöpfungsraum. Herrlich, dieser
weite Horizont. Zukunft ist Machwerk, ist Raum, in welchem - was auch immer
passiert - Gott der Herr ist und nichts uns von ihm wegreissen kann. Ja,
da sind Anfechtungen: wie kann Gott das zulassen? Das Grauen, das Weh.
Die 6. Bitte im Vaterunser ist schon abgründig: Führe uns nicht
in Versuchung, an dir irre zu werden. Ach (u.a. mit Walter Dirks) " führe
uns in der Versuchung". Es ist schon der Glaube, der aus uns wen macht.
Luther: "Glaubst du, so hast du; glaubst du nicht, so hast du nicht." Glaubst
du, so hast du das Zu-Gott-Gehören, hast Vergebung, Auftrag, Trost,
Lebensmut. "Du bereitest vor mir einen Tisch, im Angesicht meiner Feinde"
- meiner feindlichen Gedanken über das Leben, bereitest du mir Auskommen
und Liebe. Doch das Staunen, wie Leben gelingt, dir, mit dir, oft trotz
deiner selbst, trotz deines Gegenangehens - dies Staunen ist das wesentliche
Gefühl des Glaubens. Bis in die Tiefe, die Psalm 73 anspricht: "Wenn
mir gleich Leib und Seele verschmachtete, bist du doch allezeit meines
Herzens Trost und mein Teil."
Das Christenleben ist ein beständiges,
tägliches In-die-Taufe-Kriechen. Also nicht Bekehrung und damit hat
sich's, als wäre man mit dem Akt in eine andere Sphäre versetzt
- sondern ab sofort ein Zugehören, das ist, was es ist. Und "der Glaube
darf nicht eine Stunde alt sein" (R. Musil).
Offen ist auch für uns, wie sich die
Zukunft gestaltet. Da ist ein Haufen weltbildhafter Vorstellungen mythologischer
Art, aber das Wesentliche des Künftigen ist Gott. Weiss ich, sein
Lieben hat kein Ende, weiss ich mich immer von Gott geliebt - durch welche
Engen hindurch. So können wir auch mal das Zeitliche segnen. Amen.