Keitumer Predigten Traugott Giesen
21.04.2000
Karfreitag
Hört aus dem Propheten Jesaja:
Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.
Um unserer Missetaten willen ist er verwundet und um unserer Sünden
willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt. � Er trägt ihre Sünden
und betet für die Übeltäter. Seine Seele hat sich abgemüht.
Er wird das Licht schauen und die Fülle haben. Und durch seine Erkenntnis
wird er, Gottes Knecht, den vielen Gerechtigkeit schaffen (Jesaja 53).
Fünfhundert Jahre wohl vor Jesus Christus wurde dieser Wunsch
laut. Menschen erhoffen einen Retter, der nicht mit Feuer und Schwert die
Menschheit züchtigt, sondern der sich das Menschenleid anzieht, das
Leid trägt. Immer wieder spielen sich herrische Figuren als Retter
der Menschheit auf, die wollen uns zu Gefolgsleuten ihrer Welteroberungspläne
machen � Sorte Hitler. Andere wollen uns einschläfern, uns die Sehnsucht
aus dem Leib spülen, indem sie diese Sehnsucht in seichteste Unterhaltung
verdünnen und sie Tag und Nacht uns einflössen. Oder als Rettung
wird uns das schnelle Geld versprochen.
Das sind wohl die wichtigsten Strategien gegen Leid: Macht, es andern
aufzubürden; Leid vergessen, oder sich freikaufen; meinen Willen durchsetzen,
mich genüsslich vergnügen, oder mich mästen an der Gunst
der Verhältnisse � drei Arten mich vor Leid in Sicherheit zu bringen:
Aber damit zugebrachtes Leben wird sich schliesslich als Scheitern herausstellen.
Aber dem Leid entkommen, das erreichen wir nicht. In Gedanken bleiben
wir immer auf das Leid fixiert, dem wir entkommen wollen. Je mehr Macht
wir haben, andere zu zwingen, desto mehr werden wir gehasst. Je mehr wir
uns per Unterhaltung Leben vormachen lassen., desto flauer und lebensmüder
und mutmüder werden wir. Und je mehr Geld wir häufen, desto mehr
dienen wir dem Geld, statt uns des Geldes für Gutes zu bedienen.
Alle drei Lebensmuster sind auf Leidabwehr aus, wir sind getrieben
von Angst vor Schmerz, vor Leid, vor Verwicklung. Lieber zwingen als gezwungen
werden, lieber Langeweile als Leid, lieber mehr nehmen als je bitten müssen.
� �Nein, sagt er, ich bin nicht reich. Ich bin ein armer Schlucker, mit
Geld, und das ist nicht dasselbe. Reich ist man, wenn man gerad genug hat,
um nicht dran denken zu müssen� (Marquez) und Zeit hat für Freude
haben, Freude machen.
Dagegen die drei Arten, komfortabel zu kurz zu kommen. Unser Weltbild
ist eng, wenn es so auf Leidvermeidung getrimmt ist. Unser Ich wird ausgemergelt,
unser Leben steckt in einer zu engen Haut. Und es bleibt bei uns ein Vermissen
ungeahnten Ausmasses. Und am Schlimmsten: Unser Unbehagen hat keine Ahnung,
was uns fehlt. Wohl uns, wenn wir noch einen Schimmer haben, was das uns
Fehlende, das Abwesende sein könnte.
Aus weiter Ferne klingt das Lied vom Gottesknecht. Der nimmt das Leid
auf sich. Der leidet stellvertretend, auf dass wir Frieden hätten.
Durch seine Wunden sind wir geheilt. Wie kann das gehen?
Jesus verweigert Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von Zielen. Jesus
schl�gt ein unterhaltsames Leben aus. Er kauft sich nicht frei, er häuft
nicht Sicherheit. Viele Menschen leben still für andere. Sie leben
aus der gleichen inneren Kraft des Jesus.
Nur den Jesus hat es auf den Gipfel der Zeit gehoben. Da, in Jesus
ballte sich Entweder-Oder. Wird das Leid aus der Welt gezaubert oder muss
es getragen werden? Warten wir auf einen Retter, der einen neuen Himmel,
eine neue Erde gründet? Oder sehen wir in den Mühen der Wirklichkeit
Gott sich häuten? Verlässt Gott im Leid, ist also Leid sinnlos
und muss vermieden werden? Oder liegt Gott mit diese Schöpfung noch
in den Wehen und leidet in unsern Schicksalen?
Jesus sieht Gott mithungern in denen, die wir nicht sättigen.
Jesus sieht Gott unbesucht in denen, die wir im Gefängnis, im Krankenhaus,
im Pflegeheim uns verdrängt sein lassen. Was ihr getan, nicht getan
habt einem dieser meiner geringsten Brüder und Schwestern, habt ihr
mir getan, nicht getan � sagt Jesus an Gottes Statt.
Die Schriftgelehrten jener Zeit, hielten das für Gotteslästerung.
Und wir alle wollen ja auch einen Gott über dem Leid, der es vielleicht
wegzaubert, aber nicht sich aufs Leid einlässt. Aber Jesus weiss vom
Weltenkern mehr. Sein Gott leidet das Leid der Kreatur mit.
Dieses Entweder-Oder ist die Wucht von Karfreitag. Die einen bringen
Jesus ans Kreuz und machen eine Wette: soll Gott ihn doch retten, wenn
er ihn liebt. Jesus schreit in seinem Schmerz auch nach dem Gott über
dem Schmerz, aber glaubt: Du bist im finstern Tal bei mir. Du bist in mein
Leid verwickelt, ich bin in dich verwickelt. Du, Gott, erfährst die
Leiden deiner Schöpfung am eigenen Leib. Es ist das Entweder-Oder:
Ist Gott über und ausserhalb der Schöpfung, oder ist die Schöpfung
in Gott, ist die Weltgeschichte Gottes Biographie, ist die Zeit sein Wille?
Dann trägt Gott unsere Schuld, unseren Schmerz, lacht unsere Freude,
teilt unsere Gemeinschaft, treibt uns zur Liebe, treibt in uns Erdklössen,
in uns widerständigem Material seine Liebe zur Blüte � wenn auch
noch soviel Herzenskälte auch geschieht uns, die wir Leid gern auf
andere schieben oder vergessen unter Vergnügungen oder Sicherheitsdenken.
Jesus hat den liebenden und mitleidenden Gott vorgelebt und bis in
den Tod geglaubt. Wäre nun Jesu Tod am Kreuz des Gotteslästerers
ohne Antwort geblieben � ich weiss nicht, wie wir dann anglauben könnten
gegen Gewalt und Verdaddeln des Lebens. Woher die Kraft, der Liebe zu glauben?
Jesus nach, ist es möglich. Er war gewiss, dass auch das Sterben uns
nicht scheiden kann von der Liebe Gottes. Also kaut Gott auch den Tod und
die Menschenschuld, kaut und verdaut sie. Gott ist also Knecht des Lebens,
um uns die herrliche Freiheit der Kinder Gottes zu beschaffen. Was dann
Ostern meint � Auferstehung zu Umkehr und Neuem Anfang.
Der Knecht Gottes bildet Gott ab als Diener seiner Schöpfung,
der auch unsere Sünden trägt. Wir leben in ihm und die Liebe
Gottes ist uns Lebensmittel: da wir stets uns selbst zum Trotz geliebt
werden wollen. Amen.