Keitumer Predigten Traugott Giesen
23.01.2000
Deine Antwort sei ja, ja, ....................
Wir sind betroffen, daß von uns geachtete Politiker Geld angenommen
haben, welches sie unveröffentlicht, unversteuert, ungenannt nicht
hätten annehmen dürfen. � Sie taten es, um ihre Partei und deren
sicher gute Ziele zu fördern; sie meinten, der Zweck heilige die Mittel.
� Und als es jetzt herauskommt: die Spendernamen nicht zu nennen, berufen
sie sich auf ihr gegebenes Ehrenwort.
Warum die Öffentlichkeit ein Recht hat, die Spendernamen zu kennen,
warum Politiker die Pflicht haben, die Spender zu nennen, ist offensichtlich:
Nur in Kenntnis des Spendernamens kann geprüft werden, ob der Geber
vielleicht Einfluß genommen hat � etwa den Empfänger sich geneigt
gemacht hat, eine Entscheidung in seinem Sinne, zu seinen Gunsten zu veranlassen.
Beruft sich jetzt der verdienstvolle Altkanzler auf sein gegebenes
Ehrenwort, das er gar nicht hätte geben dürfen, behauptet er
doch, sein Ehrenwort hätte für ihn mehr Gewicht als die Gebote
des Staates.
Natürlich kann er diese Gewichtung so vornehmen, aber daß
er dann nicht mehr Bundestagsabgeordneter sein kann unter dem Versprechen,
die Verfassung zu schützen, ist klar. Er kann sogar ins Gefängnis
gehen, aufrecht, aus innerster Überzeugung, recht zu tun, in der Meinung,
seine Integrität sei über jeden Zweifel erhaben. � Aber wir dürfen
nicht dem großen Namen zuliebe auf die Offenlegung verzichten, zu
der jeder kleine Steuerzahler verpflichtet ist.
Daß Menschen ihn für seine Dickschädeligkeit beklatschen,
ist mir das eigentlich Bedenkliche. Sie bewundern das Herrschaftsgebaren
des Über-Vaters und verachten das mühsame Aufklären der
Geschwister. Oder was ist das sonst?
Wir erleben doch die Selbstzerstörung eines Denkmals mit ungläubiger
Trauer. Auf einmal mehren sich die ethischen Verfehlungen im öffentlichen
Raum � Käuflichkeit und private Vorteilsnahme, Patengebaren, also
das Kaufen von Wohlverhalten, also Macht durch Geldgeschenke, Abhängige
sich anfüttern. � Es scheint auf einmal, daß das öffentliche
Leben auf ganz dünnem Eis gebaut ist, uns die Maßstäbe
für Recht und Ordnung einfach wegbrechen. Wichtige Repräsentanten
wischen Gesetze weg, als wären sie nur Papier. Das Wort vom Sumpf,
es macht die Runde. Da kann man schon mal wieder Bibel befragen, was ein
Ehrenwort denn wert sei.
So genau ist die Frage nicht behandelt in den Schriften. Aber Jesus
sagt (Matthäus 5, 33): Ihr habt gehört, daß zu den Alten
gesagt ist (3. Mose 19, 12; 4. Mose 30, 3): �Du sollst keinen falschen
Eid schwören.�
(Matthäus 5, 34) Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt
nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron;
(Matthäus 5, 35) noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner
Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen
Königs.
Noch bei eurem Haupt � was habt ihr denn Vollmacht über euer Haupt
� ihr könnt euch nichtmal ein Haar hinzuzüchten.
(Matthäus 5, 34) Ich sage euch, ihr sollt überhaupt nicht
schwören.
(Matthäus 5, 37) Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber
ist, das ist vom Übel.
Nehmen wir mal das Ehrenwort als bürgerliche, abgeschwächte
Form des Schwures, dann gilt: Du sollst nicht schwören, du sollst
kein Ehrenwort geben. �Ja, ja; nein nein� soll dir reichen. � Warum?
Du sollst nicht Gott zur Hilfe holen, um dein Wort gehaltvoller, glaubwürdiger
zu machen, sollst dir nicht mehr Wahrheitskarat zulegen durch Aufbietung
des Himmels zu deinem Leumund. Was tätest du damit? Du zeichnetest
ein Wort mit Wahrheitsleuchtkraft aus, die aus ganz anderen Quellen stammt,
als die dir zu Gebote stehen. Du vergreifst dich an Göttlichem, um
dein Menschliches in Sicherheit zu bringen. Nicht mal deinen Kopf kannst
du verwetten, was hast du denn für Vollmacht über deinen Kopf
� nicht mal über deinen Haare.
Also setz darauf: Deine Wahrheitsleuchtkraft reicht, dein Ja ist groß,
dein Nein ist groß. Im Rahmen deines Vermögens kannst du einem
was zusagen. Bittet dich einer um eine Wohnung, und du hast ein Haus mit
freier Etage � kannst du ihm Ja sagen, ich laß dir die Wohnung.
Aber ob du die Wahrheit sagst? Sag einfach, was ist. Mehr Garantien
stehen dir nicht zur Verfügung. Deine Glaubwürdigkeit muß
geglaubt werden. Wie du ja auch vertrauen mußt seinem Ja, seinem
Nein � verlang nicht mehr. Wenn du Vertrauen garantiert bekommen willst,
dann ist es genau nicht mehr, was du willst. Wie eine Blume nicht mehr
die Blume ist, wenn du sie sezierst, so ist das Vertrauen nicht kontrollierbar
� ja, wer es untersucht ist der Mißtrauische. Wie soll ich dem Vertrauen?
Hast du mir aus dem Portemonnaie Geld gestohlen? kann die Mutter das
Kind fragen. Aber es wäre wohl nicht klug. Denn wenn das Kind die
Energie hätte zu stehlen, wird es auch die Energie aufbringen zu lügen.
Was also muß die Mutter fragen, wenn ihr der Sprößling
ans Portemonnaie zu gehen scheint?
Sie wird herausfinden, was das Kind braucht, was es sich wünscht;
sie wird in Verhandlungen das Taschengeld erhöhen, sie wird dem Kind
helfen, nicht klauen zu müssen � sie wird ihm helfen, mit Einschränkung
leben zu lernen.
� �Nicht immer verheimlicht man aus Eigennutz oder aus Angst oder weil
man wirklich einen Fehler begangen hat, nicht immer aus Selbstschutz, oft
geschieht es, um keinen Kummer zu bereiten oder kein Spielverderber zu
sein und um nicht weh zu tun, manchmal aber auch aus purem Anstand, es
gilt als unerzogen oder unkultiviert, sich ganz und gar zu erkennen zu
geben.
Wenn man etwas nicht erzählt, dann löscht man es ein wenig
aus, vergißt es ein wenig, leugnet es. Wenn man seine Geschichte
nicht erzählt, kann das ein kleiner Gefallen sein, den man der Welt
erweist. Das muß man respektieren. Vielleicht würdest du nicht
gern alles von mir wissen, vielleicht wirst du im Lauf der Zeit, später,
auch nicht wollen, daß ein Kind von uns alles über uns wüßte.
Über uns als einzelne, zum Beispiel, bevor wir uns kennenlernten.
Nicht einmal wir wissen alles über uns (Xavier Marias). �
Liebe deckt Vergehen zu (Sprüche 10, 12), weil Liebe verstehen
will, gerade weil sie verstehen will und nicht durchschauen, läßt
sie dem andern das informelle Selbstbestimmungsrecht. � Liebe kann warten,
daß der andere sich selbst zu erkennen gibt. Liebe nimmt den andern
so, wie er sich gibt und eben bedürftig des Mantels der Liebe, der
zudeckt. Liebe ist auch eine Kraft des Fürwahrhaltens dessen, was
der andere sagt. Nimm ihn beim Wort, laß es dir wahr sein lassen.
Das gilt nicht auf dem Gebiet der Politik nicht auf dem Gebiet von
Macht und Einfluß. � Wo wir Macht abgeben, haben wir das Recht auf
gläserne Taschen, wie unsere Macht verwaltet wird. �Du sollst nicht
falsch Zeugnis reden gegen deinen Nächsten� gilt für uns alle.
Wir sollen den Nächsten nicht beschädigen durch lügen, betrügen,
üble Nachrede, bösen Leumund machen, sondern ihn entschuldigen,
Gutes von ihm reden und alles zum Besten kehren. Schon viel falsch Zeugnis
ist durch Presse vervielfältigt worden, aber noch mehr Lügen
sind unterblieben aus Angst vor Schlagzeilen. Und dank der Aufklärung
durch die Medien ist viel Unrecht aufgedeckt und Schaden wieder gut gemacht
worden. �
Der Zweck heilige die Mittel � ist eine der schlimmsten Lügen.
Es ist doch umgekehrt � Zwecke sind wohlfeil, alle wollen unser Bestes
� die Mittel entscheiden über Wohl und Wehe. Man kann nicht das Lied
der Freiheit auf dem Instrument der Gewalt spielen (St. L. Lec).
Bonhoeffer erzählt von einem fiesen Lehrer, der einen Schüler
vor der Klasse befragt: Na, ist dein Vater heute morgen wieder betrunken
in den Straßengraben gefallen. Und der Junge sagt kühl: Nicht
daß ich wüßte. Hatte der Lehrer ein Recht auf die Ehrlichkeit
des Schülers? War das Leugnen des Jungen nicht mehr in der Wahrheit,
aus der Wahrheit der Liebe von Vater und Sohn? Das eine sind die Tatsachen,
aber was sie bedeuten, sie so deuten, daß sie zur ganzen Wahrheit
gehören, zur Wahrheit, die Liebe gebiert � das ist die Kunst, die
das Licht der Welt braucht. Was etwas bedeutet von der umfassenden Liebe
beseelt � diese Wahrheit wird euch freimachen � sagt Jesus.
Wer hat ein Recht auf deine Wahrheit? Nicht wer dir einen Strick drehen
will. �
Rechenschaft legen muß aber jedenfalls, wer in der Demokratie
Ämter übernimmt, also Macht verwaltet, die wir ihm auf Zeit abtreten
zu genau bestimmten Bedingungen. Und da kann er sich nicht auf ein Ehrenwort
berufen, das er nicht hätte geben dürfen.
Überhaupt � Jesus sagt: Schwört nicht, und heiligt damit
ein Wort vor anderen � sagt ja oder nein � und setzt das in die Tat um,
so gut ihr könnt. Und was ihr nicht schafft, da gesteht eure Ohnmacht.
Und setzt darauf, was ihr nicht könnt, das hat Gott andern vorbehalten,
das ist nicht eure Sache. Ihr seid nur zuständig im Rahmen eurer Kräfte.
Und eure Ehre � die zu sichern ist nicht eure Sache � gerechtgesprochen
werden wir von anderer Seite. �Ich habe mir nichts vorzuwerfen� ist nur
anmaßend. Wir sind Sünder, und mangeln des Ruhmes, den wir vor
Gott haben sollen. �
So brauchen wir das Erbarmen aller und Vertrauen. Ohne Vertrauen meinen
wir, alle stieren auf uns, bis wir stürzen. Bei Mißtrauen ist
kein Gespräch möglich, sondern wir verhören einander, lauern
auf Versprecher. Und dann sagt einer: �Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort� und
wir wissen, ahnen zumindest, das ist ein Rettungsring ohne Halt.
Was Wahrheit kann, was wir für Wahrheit tun können, das zeigt
mir immer wieder die behutsame Trauformel: �Willst du sie/ihn annehmen
aus Gottes Hand, sie/ihn lieben und ehren, in Freud und Leid nicht verlassen,
bis daß der Tod euch scheide, so sage: ja. ich will.� Nicht ich werde;
was du dann tun wirst, kannst du jetzt nicht versprechen. Du kannst nur
sagen: Jetzt will ich von ganzem Herzen, und für den Rest bitte ich
um die Gnade des weiten Raumes, daß die Liebe uns hält. �
Ehrenworte von Übervätern? Hört Elias Canetti: �Wie
pflanzt sich die Wahrheit fort? Durch erbarmungslose Zerstörung von
Namen.�
Wir haben uns von Menschen zuviel versprochen, jetzt sind wir enttäuscht,
fühlen uns getäuscht. Dabei haben wir sie groß gemacht
� ihnen Verantwortung aufgeladen, daß wir schön unser Privates
betreiben. Wir müssen wieder zurück, selber Verantwortung für
Öffentliches übernehmen. Wir wissen, daß dies zu der Wahrheit
gehört, die uns freimachen wird. Amen.
Ausgangsgebet