Keitumer Predigten Traugott Giesen
Ostersonntag 04.04.1999
Eingangsgebet
Nach Lukas 24:
Aber am ersten Tag der Woche sehr früh kamen die Frauen zum Grab
und trugen bei sich die wohlriechenden Öle, die sie bereitet hatten.
Auf dem Weg hatten sie sich gesorgt: Wer wälzt uns den Stein von des
Grabes Tür?
Aber sie fanden den Stein weggewälzt von dem Grab und gingen hinein.
Und sie fanden den Leib des Herrn nicht.
Als sie darüber noch entsetzt waren, siehe, da traten zu ihnen
zwei Lichtgestalten.
Die sprachen: Fürchtet euch nicht. Was sucht ihr den Lebendigen
bei den Toten?
Er ist nicht hier, er ist auferstanden. Ihr werdet ihn treffen in Galiläa,
wohin er euch beschieden hat.
Und sie eilten vom Grab weg und verkündigten es den Jüngern
und den andern allen.
Es muß auffallen, wie nach dem Karfreitag die Frauen in den Vordergrund
rücken. Von den Jüngern, außer Petrus und Johannes, ist
ja seit Gethsemane nicht mehr das geringste zu sehen. Dann kommt der Sabbat.
Starre der Verzweiflung scheint sich ausgebreitet zu haben. Und dann jener
Morgen. Fragt man sich, welche Frauen es waren, die zwischen Morgengrauen
und Sonnenaufgang durch die dunklen Gassen der Altstadt von Jerusalem eilten,
um ihren Herrn, der nun auf einmal nicht mehr ihr Herr sondern das Ziel
ihres Erbarmens war, zu versorgen � jedenfalls waren es Frauen allein.
In der Katastrophe: Frauen allein � das schrieb Erhard Kästner. �
Und es ist doch wahr: Frauen merken eher, was ist, was wird, was anhebt.
Zunächst sind sie nur treuer. Sie wollen den Leichnam salben,
sie wollen noch lindern, schmücken, schützen � ihm was Gutes
tun � wissend, daß es der Vergangene ist. Was war, wollen sie festhalten.
Sie wollen die Zeit zurückdrehen, ihn vielleicht wappnen für
den rauhen Tod, wie man Kinder eincremt gegen rauhes Wetter. Sicher war
da auch Zärtlichkeit bei, der geschundene Körper des geliebten
Menschen soll Linderung erfahren. �
Die Frauen wollen nicht, können nicht einfach weitermachen, ihnen
stockt das Leben, weil der geliebte Mensch ihnen entrissen ist. Da wollen
sie noch halten, was noch da ist � Herr war er ihnen, wenigstens als Objekt
ihrer Trauer wollten sie sich ihm noch widmen. Wenn abgelöst sein
muß, dann in langen, immer weiteren Kreisen sollte der Geliebte aus
dem Mittelpunkt gerückt sein � ihnen ganz langsam entwichtigt werden.
Das Salben sollte lange dauern. Aber sie finden das Objekt ihrer Trauer
nicht.
Statt dessen reißt sie eine Erleuchtung hoch, eine Fanfare von
Aufbruch, eine Anfangsenergie wie das andere Anbrech-Wort der Schöpfung:
�Es werde Licht!�; hier jetzt am Grab nahe Golgatha: �Was sucht ihr den
Lebendigen bei den Toten?�
Den Frauen, die dem Vergangenen treu bleiben wollten, wird der Kopf
gehoben. Sie werden umgedreht. Sie werden nach vorn gerissen, werden geschickt,
sie werden Gesandte, werden Verkündigerinnen: vorn spielt der Auferstandene
die Musik. Geht nach Galiläa, in den Alltag, da werdet ihr ihn treffen.
Da werdet ihr die Auferstehungs-, die Anfangs-, die Schöpfungskraft
Gottes treffen.
Ostern ist pure Vorwärtsblickekraft � ja auch Frühlingserwachen,
blaues Band, Blumenschmuck, Vögel bauen Nester � aber du Mensch, setz
dein Vertrauen ganz in das, was auf dich zukommt. Denn was kommt, kommt
auf den Sohlen gerade dies Geschehenen.
Das hatte eben Jesus ermittelt: Die alte Hoffnung ist realistisch.
Es gilt: Siehe, Gott, von allen Seiten umgibst Du mich und hältst
Deine Hand über mir, und sänke ich in den Tod, so bist Du auch
da, bist im finsteren Tal mit da und führst mich hindurch, und ich
werde bleiben im Haus Gottes immer (Psalm 139; 23).
Immerwährendes Vorwärtsblicken ist dran. Das Herz aller Dinge
hat mit uns Leben vor. Der Tod siebt uns nicht aus, sondern aus der Raupe
wird der Schmetterling. � das widerfährt dem Jesus. Wie aber bekommen
wir das mitgeteilt?
Die Frauen wollten sich zum Leichnam beugen, suchen die abgelegte Hülle,
die Raupe � und die Lichtgestalt sagt: Ihr trefft den Schmetterling, die
leuchtende, bunte Hoffnung, daß wir Freude erfahren, immer neu. Christus
ist als Auferstehungsenergie bei euch, gegen Nihilismus, gegen Drohungen
mit Hölle, gegen Verschlucktwerden von Angst ist er bei euch mitten
im Leben, in unserer atmenden Haut.
Ja auch hinterm Sterben � die Nahtod-Erfahrungen von reanimierten Menschen
berichten von warmen Farben und sanftem Glück, als stehe dann Paradiesisches
bereit. Wir sterben nicht ins Leere sondern in Gottes Schoß. Aber
der Anfang ist hier. Hier bricht das Zusammensein mit Gott an und dann
ist nichts hoffnungslos.
Die Lichtgestalt am Grab schickt die Frauen los: In eurem Alltag �
so verstehe ich Galiläa � werdet ihr ihn treffen als Auferstehungs-
und Anfange- und Wieder-von-Neuem-beginne-Schub. Als Durchhaltekraft, um
hier die Utopie vom lebenswerten Leben zu realisieren.
Ja sicher, nur annähernd, ja, mit Rückfällen, ja, mit
Unrecht � aber doch mit mehr Freude, weniger Leid, weniger Leidenden.
Bei aller Vorläufigkeit, dir/uns Auferstehung jetzt, Wiederaufbau
nach der Flut, neue Bindung nach Verlust, Weiterleben nach dem Schlag unter
veränderten Bedingungen, aber noch mit Lust auf dich selbst. Vertreibung
im Kossovo verhindern. Auch durch Bestrafung per Bomben? Wer wußte
Besseres und hat es laut gesagt? Jetzt werden wir mitschuldig, aber nur
Zuschauen ist auch gewalttätig. Auferstehung jetzt heißt: Dein
Ich wird weiter ausgefaltet mittels dessen, worum du dich mühst. Und
du sollst Halt finden auch in den Böen widerlicher Empfindungen, die
in dir mal prasseln; du sollst auch im trüben Gedankengestöber
nicht den Sog nach vorn verlieren:
Aber such nicht den Lebendigen bei den Toten. Geld horten ist sowas;
neiden, Glück zerstören, Verfügungsmacht über Menschen
wollen, sich zerstreuen bis zur Verblödung � das ist absterben.
Such den Lebendigen! Sei zum Kampf entschlossen gegen dein Niederziehen,
Quengeln, dein Totstellen bei Gefordertsein. Du, komm klar mit dem Gewicht
deines Lebens, beschädige anderes möglichst nicht.
Faszinierend ist, wie die Auferstehkraft die Frauen zum Sprechen bringt,
ja, die Frauen werden zu Verkündigerinnen der Auferstehenergie. Sie
künden von einem Sinn, der sich im Kommenden herausstellt. Sie entwickeln
Interesse an der Zukunft; erleben sich selber als Samenkörner von
Zukunftssaat. Sie haben nicht mehr nur Geschichte mit einem vergangenen
Christus. Sie werden Christus treffen in den Bindungen, die sie eingehen.
Das ist versprochen: das Wesen des Christus, die Liebe, die Freude, verkörpert
sich in unserm Zusammenleben; Unschuld und Paradies befinden sich im Geheimnis
jeder Zeit. Es läßt sich mutig und solidarisch leben, mit mehr
Aufbruch als Abbruch im Kopf � eben mit der Auferstehungsfreude. Amen.
Schlußgebet
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