Traugott Giesen Kolumne aus Sonntagsblatt vom 04.09.1997
Aber wer jagt die Paparazzi?
Berühmtheit hat ihren Preis, Öffentlichkeit läßt
sich nicht ausknipsen.
So sind wir � schlägt das Schicksal zu, werden Schuldige gesucht.
Statt erst mal zu klagen, auch Gott, der ja die letztendliche Adresse für
Klage und Dank ist, werden wir moralisch. So laufen wir unsern Gefühlen
weg.
Ich möchte erst mal einfach nur traurig sein dürfen. Dies
junge Leben ist zerrissen. Bei ihr war Schönheit und Wehmut nahe bei.
� Wie Glück vergeht in Sekunden, das stellt sich dar gerade an ihr,
die auch für das Sterben einer großen Liebe steht. Wie Kinder
einer zerrissenen Ehe verletzt sind. � Viel ist zu betrauern. Auch die
törichte Wahl eines unfähigen Fahrers. �
Die Menschheit ist ärmer geworden um eine leuchtende, ferne Schwester.
Sie gab Menschen das Gefühl, das Leben sei der Mühe wert. Ihr
tapferes Lächeln hat Gottvertrauen und Lebensmut und ein Stück
Barmherzigkeit mehr in die Welt gesetzt.
Sie war der meistgekannte Mensch und der interessanteste auch, � jedenfalls
wollte man von ihr am meisten wissen, wollte sie am liebsten bei sich zu
Tisch haben; keines andern Menschen abgelegte Kleidung hätte wohl
so viel erlöst, wie die ihre. Auf den Nachttischen der Urgroßmütter
wie bei den Girlis lagen die Illustrierten mit ihrem Bild obenauf. Der
Hunger nach Nachrichten und Bildern von ihr war riesig.
So wollten wir alle, fast alle, Anteil nehmen an ihr, wollten ihre Freuden
und Schmerzen teilen, wenigstens von außen, wenigstens so als ob.
Die Medien machen unsere Erde ja zum globalen Dorf, das Radio ist Lauscher,
das Fernsehen unsere Kontaktlinsen, die Zeitungen unser Denkzeug, das uns
ans Weltgeschehen anschließt. � Gerade die Berichterstattung über
Di�s Tod zeigt die Macht der Medien: Die ganze Weltgeschichte tritt in
den Hintergrund wegen dieses uns alle irgendwie zu Hinterbliebenen machenden
Ereignisses. Die Medienleute fangen für uns Bilder und Gedanken ein
von und zu Ereignissen, die �fit to print� sind. Was aber gut ist zum Zeigen
und Weitersagen, entscheiden letztlich die Benutzer der Medien, nicht ihre
Macher. Ja, es soll Medienfürsten gegeben haben, die bei Nachrichtenflauten
Kriege inszenierten. Es gibt auch (mal) Reporter, die Schlägereien
bestellen bei Nazi-Grölern. Es gibt auch Medienmacher, die ihre Meinung
in die Gehirne der Zeitgenossen drücken wollen; vor allem, daß
Inhaber von Ämtern, Titeln und Besitz aus Prinzip verantwortungsbewußt
seien.
Doch diese Sünden verdecken nicht die große Aufgabe der Medien:
Sie ordnen das Besondere und eigentlich Wichtige, sie stellen uns die Ereignisse
in eine Rangfolge, sie sortieren uns die Welt, machen Geschehen begreifbar.
Diana war nun ein Leuchtfeuer von einzigartiger Intensität. Sie
zog die Medien an, die Medien bliesen sie auf zur Heiligen dieser Tage.
Aber die Fotoreporter auf den Motorrädern in Paris für schuld
am Tod von Di zu halten, ist finsterste Hexenmacherei. Die Knipser wollten
ein Bild von Di im Arm ihres Dodi � weil wir alle ein Bild von Di und ihrem
Dodi sehen wollten. Wir hätten uns dann an Dodis Stelle phantasieren
können; oder wir hätten es als Zeichen genommen, daß Diana,
unsere beste Freundin, vor uns keine Geheimnisse zu haben braucht; oder
wir hätten es ihr verübelt, sich mit einem Millionär einzulassen.
� Wir machten uns unsere Di zurecht, je nach unsern Bilder im Kopf für
die wir nur Vorlagen aus der Wirklichkeit brauchten.
�Sendboten unserer Neugier� nennt der Chefredakteur der Mopo M. Döpfner
die nervenden Reporter. Das ist gut gesagt, weil diese ja unsern Wunsch
nach Teilnahme an Di�s Leben realisieren, wenn auch nur dem Scheine nach
und einen Augenblick lang. Schon den nächsten Tag waren wir hungrig
nach dem frischen Bild.
Frage ist mir nicht so sehr, wie weit die Fotoleute gehen dürfen.
Sie bleiben immer unter/hinter unserer Neugier zurück, sie bleiben
diskreter als unsere Lüsternheit. Wir sind schaulustig, das ist so.
Jeder schaut hin, wenn er sich unbeobachtet fühlt, erst recht, wenn
das Gegenüber ein Objekt der Begierde ist.
Wir dürfen schauen, der andere darf sich verhüllen, sich unsern
Blicken entziehen, Zutritt zu Seinem verweigern. Fotografieren dürfen
wir wohl nur mit Einverständnis des Betreffenden, das informelle Selbstbestimmungsrecht
über seine Daten, sein Leben und die Bilder seiner selbst liegen bei
ihm, es sei denn, wir wären gar nicht persönlich gemeint, sondern
nur als Passanten einfach mitgefilmt.
Anders liegt es bei Lady Di. Sie hatte den Beruf der Darstellerin von
königlichem Leben. Sie war ein öffentliches Ereignis. Sie war
Botschafterin Englands und britischer Mode, sie fungierte in den Rollen
der emanzipierten Frau und der ins Gewissen redenden Aufklärerin.
Sie bezeichnete sich selbst als �Königin der Herzen�. Sie wollte wirken,
sie wollte Einfluß nehmen, sie nutzte die Medien zur Verbreitung
ihrer Botschaft und zur Vervielfältigung ihrer Ausstrahlung. Und sie
wußte, daß die Botschaft ihr abgenommen wurde, weil man sie
liebte. Man liebte sie aber nicht wegen der Botschaft sondern wegen der
Zuneigung, die man von ihr erhoffte und wegen der Zuneigung, die man ihr
schenkte. Sie schürte unser Interesse an ihr. Und unsere Übertragungen
auf sie machten sie zur berühmtesten Person der Zeitgeschichte. �
Und das hat seinen Preis. Die Öffentlichkeit läßt sich
in öffentlichen Räumen nicht ausknipsen. Wir, die wir ihr alle
etwas von unserm Licht gaben, von unserer Aufmerksamkeit � wir wollten
auch wissen, wie sie klar kam mit den Kindern und den Männern und,
und....
Auch andere Prominente können nicht ungestört einkaufen, werden
dauernd angesprochen, um Autogramme gebeten, man hält ihnen Kinder
hin, daß sie gesegnet werden. Man muß sie vor uns schützen.
Unsere Inbrunst ist manchmal verrückt. Wir jagen die Fotographen,
daß sie uns die Trophäen bringen. So rächen wir uns auch
an den Bewunderten, die uns so gar nicht kennen.