Rogate: Betet - das ist Imperativ,
Befehlsform, ist das nötig?
Ja, schon in dem Sinne, wie wir einander
drängen: Sprich doch, sprich dich aus; bleib nicht allein mit den Sachen
hinter deiner Stirn. So auch ist der Lockruf: Bete doch! schon recht. Im
Sinne: Sprich dich aus vor Gott - daß du dir klärst immer wieder,
wo du hingehörst: Du kreist in seiner Bahn, du gehörst mit dem
Deinen zur Sonne aller Sonnen. Betend also vergewisser ich mich, wo im Getriebe
des Lebens ich stehe. Gott weiß, was ich bin und nötig habe. Ihn
brauche ich nicht zu informieren, aber mich muß ich informieren, daß
ich weiß, Gott weiß.
Wir suchen in allem, worum wir uns bemühen,
Zeichen der göttlichen Gunst, Winke seiner Fürsorge, und: Wenn
wir ein Leid haben, fragt es in uns: Warum Allmacht, warum Schicksal, warum
mir dies? Fühlen wir gute Gefühle, dann sind sie uns goldne
Körner für ewiges Glücklichsein, fühlen wir Stachel im
Fleisch, sehen wir uns verstoßen. - Diese Weite, dieser Horizont, diese
Ewigkeitsvision ist wohl das Wundersamste unserer Seele - es ist ein Durst
in uns, doch bestätigt und ausgezeichnet zu werden als wichtig. Wie
die kleine Tochter sich verzehrt, vom Vater auf den Arm genommen zu werden,
wie der kleine Junge Mutters Liebster sein will, dieses Sehnen wird erwachsen
und zielt dann weit über die kindliche Anhänglichkeit hin zum Herz
der Welt.
Wie ein Hirsch lechzt nach frischem Wasser,
so schreit meine Seele, Gott, zu dir. Meine Seele schreit zu Gott, dem lebendigen
Gott. Wann werde ich dahinkommen, daß ich sein Angesicht schaue? fragt
der Betende der Bibel. Und hält sich seine ewige Würde vor Augen
- nicht Zerfall der Atome steht bevor sondern Gekröntwerden mit Gnade
(Psalm 103, 4).
Mit dieser Widmung leben, hieße wissen,
daß unser Gieren und Drängen immer magnetisches Gezogenwerden
ist von ihm, der Heimat aller Menschen. Auch unser Streben nach Macht und
Besitz zielt weiter als auf Bewunderung durch Menschen hin. Im Innersten
aller Kreatur verborgen ist er das Herz der Welt, ihm wollen wir uns
nähern, auf welchen Wegen und Holzwegen auch immer. Der Große
Ganze ist längst im Gespräch mit uns - aber wir merken es nur in
Sternstunden. Da ich noch nicht geboren war, da warst du mir geboren und
hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt erkoren - eh ich durch deine
Hand gemacht, da hast du schon bei dir gedacht, wie ich dein sollte werden.
-
Beten ist dieses Bestärktwerden in der
Gottesverwandtschaft, darum auch Kirche, Gottesdienst, gemeinsame Zeichen
tauschen, gegenseitig erinnern an den besten Kundschafter des Glaubens, Jesus,
- aber auch erinnern an eigene Einschätzungen; z.B. was Walt Whitman
sagte: "An jeder Straßenecke finde ich Briefe Gottes - das grüne
Gras ist ein duftendes Taschentuch Gottes mit seinen Initialen, das er
fallengelassen hat, um uns an ihn zu erinnern". Und wir sind auch Zeichen,
Bilder, Signale Gottes - wenn wir einem Menschen ins Gesicht schauen und
er schenkt uns ein Lächeln, dann befeuert er unsere Gewißheit:
Ich bin doch geschickt, bin ein Wesen, in dem sich Freudevolles abdrückt.
Darum ist Grüßen wichtig, besuchen, beschenken, stärken,
lieben - weil es das Glanzvolle, das Kostbare in einem jeden schätzt
und hochhält: Du bist ein Hauch Gottes Glück. Du bist vom Himmel,
du gibst meiner Seele Nahrung, doch zum Guten zu gehören. Weil wir eben
auch Boten Gottes sind, ist es höchst riskant, einen Bittenden abzuweisen,
an dem in Not vorüberzufahren, denn wie verzerrt zeigt sich dann in
unserm griesgrämigen, abweisenden Gesicht Gottes Antlitz? Daß
wir unser Schuldigbleiben wenigstens noch merken, zeigt: Der Gültige
ist noch im Gespräch mit mir.
Ja, bei Gewissensbissen kreist der Redestrom
mächtig. Aber wir reden uns dauernd mit Gott zusammen - auch wenn wir
mit andern telefonieren, wir brauchen Schwärme von Bejahung. Ob wir
beim Golf gut einlochen oder unsere Gäste zufriedenstellen, daß
sie auch ein rechtes Trinkgeld springen lassen, ob wir gut verkaufen oder
eine Aha-Aktion schaffen und die Kinder haben was kapiert, oder der Patient
kann von der Intensivstation - darin ernten wir uns Bejahekraft vom Grund
der Welt. Uns umarmt ein geliebter Mensch. Dieses Spürenmachen - du
gut, du wunderbar - ist Gottes Spur. Und wenn uns der wichtige Liebende abhanden
kommt, dann geht uns dies von weit herkommende Bejahen verloren; eine
Existenzkrise bricht über uns herein: Denn der Andere ist ja
hindurchscheinend für Gott. Und andersrum kann ich meinen, mir geht
die Welt unter, weil der eine Mensch mich nicht mehr will. Dann spätestens
beten wir ja wieder, werden vielleicht hingetragen zur Bitte: "Gott, komm
in neuen Kleidern wieder".
Weil wir einander Prismen Gottes sind und Blinde
Flecken für ihn, darum redet die Seelenfrequenz in uns immer mit. Aber
der Alltag überrauscht oft sein Flüstern - und dann jagen wir an
falschen Orten nach Sternstaub, Segen, Kraft von oben.
Es ist ein Jammer, wie diese ewige Stimme uns
übertönt wird. Wenn wir nur noch auf Gelüst und Angst programmiert
würden, auf Siegen oder Untergehen - Erfolg oder Habenichtse. Wenn Menschen
verzweckt werden sollen, muß man ihnen das Lauschen aufs Ewige austreiben.
Wenn wir Kinder schon früh auf Markentreue abrichten, ihnen vorspielen,
daß Kinder ohne diese Klamotten, ohne Geburtstag bei Mc Soundso nicht
als Freunde in Frage kommen - und wenn in Talk-Shows Fragemeister immer
schamloser die Mitmachenden bedrängen, ihr Innerstes nach außen
zu kehren, nur damit unsere Schlüssellochgier bedient wird und wir damit
die Quote erhöhen - und wenn wir die Dinge zu uns nicht mehr sprechen
lassen, wenn wir einer Kuh nie mehr ins Auge schauen, sie uns nur als fernes
Milch- und Fleischlager erscheint - und wenn wir auch das Miteinanderreden
verlernten, dann käme uns auch das Ewige abhanden.
Wie so manche Beerdigungen heute schon ablaufen
ohne liebes Wort, ohne Gebet, ohne Grab; wie Eheschließungen abgehandelt
werden zwischen zwei Terminen, ohne Öffentlichkeit, ohne Zeichen, sprachlos
- das Religiöse kommt einfach nicht mehr vor - die Bindungen werden
privat und banal. Menschen vereinsamen und lassen allein. Wo ist da noch
Gebet? Jammer der Leere breitet sich aus.
Andererseits: Quasi-religiöse Bilder bei
den Festen dieser Zeit : Fußball - die einen kämpfen, bekreuzigen
sich, küssen den Boden, verschwören sich als ging es in die Schlacht
von Gut und Böse; die Zuschauer feiern "Gott ist ein Schalker", da gibt
es die letzten Volkslieder, Lieder wie Gebete; das Ganze eine Bestärkung
sondergleichen, das Leben sei gut.
Oder die Pop-Idole in Stadien:
Lautsprecherwände wie Babylonische Türme - Lebensfreude in
Riesenlautstärke und die Menschen entzünden Kerzen, Feuerzeuge,
Wunderkerzen, weinen vor Inbrunst - verstecken darin eine Art Beten - eine
Sehnsucht nach Verschwisterung, nach Befreundung, nach Gemeinde.
Wo immer geseufzt und gejauchzt wird, da ist
auch der letzte Grund gemeint. Da, in Dank und Klage schreien wir zum Mittelpunkt
der Welt, in dem Wissen: Das ist kein schwarzes Loch sondern der/die/das
große Liebende.
Wenn wir trinken, atmen, gehen, wenn wir eine
Hand ausstrecken und sie tatsächlich hinlangt - ist das auch Beten.
Daß uns der Körper noch dient, die Sonne wärmt noch wieder,
ein Gespräch gelingt - das wunderbare Normale ist in seiner
Gottesfülle gar nicht auszuschöpfen. Auch unser Arbeiten ist doch
ein Verwandeln von Energie, ist ein glühendes Umschmelzen von Gedanken,
Waren, Informationen - ist eine Phase Allmacht in Aktion - und du darfst
sagen: Du bist dabeigewesen.
Dem Glühen und Werden und Wandeln wohnt
Gott inne. Das müssen nicht alle Menschen jederzeit wissen. - Man hat
dafür Priester freigestellt, das heilige Feuer zu hüten, die Heiligen
Texte zu sprechen. - Aber Töchter, Söhne brauchen keine Notare
zwischen sich und Gott. Vielleicht beten heute mehr Menschen bewußt
als je zuvor. Nicht gestanzte Litaneien, aber ein Summen, ein
In-Zwiesprache-sein. Dies schwingende Danken und diese Schwermut über
Verzweiflung ist doch bei uns - wir merken doch, daß unsere Person
sich nährt von Worten, die mit Gott schwanger sind - Worte, die den
Weltgrund fühlen lassen.
Worte, die auch erreden, was fehlt. Unsere
Wunschkraft ist eine Gabe, die Zusammenhängen bewirkt, Vernetzungen
besorgt. Die Mutter singt ihr Kind in den Schlaf - und macht damit aus der
Nacht Freundesland. - Beten macht aus uns "Glaubenichtse" (Ernst Penzold)
Fackelträger, die Zukunft ausleuchten als Chancenland. Betend ummantelt
sich mein Herz, daß ich nicht im Zugwind der Meinungen verwehe, sondern
in Gott ankere.
Beten benutzt Sprache, Sprache klebt Namen an
Sachen und Gefühle; Worte können Sachen und Gefühle aufrufen,
uns vor Augen stellen. Worte können Taten verbinden: "Sie küßten
und sie schlugen ihn" - dieser Filmtitel fädelt "schlagen" und
"küssen" auf einen Faden, macht das Verschiedene doch zugehörig.
So auch das Beten in Worten - es heftet an Gott, was sonst vagabundiert;
betend halte ich mich zugehörig, und für andere betend - weiß
ich uns verwandt, und lasse mich zuwenden. Amen.