Traugott Giesen Kolumne 11.12.1999 aus Hamburger Morgenpost
Nach dem Sturm � wir zurechtgerückt
Mit einer Urkraft tobte der Sturm übers Land, riß Dächer
runter, überflutete, legte Wald flach, schmälerte unwiederbringlich
die Inseln, trieb Fußgänger vor Autos, brach manchem die Knochen,
fledderte Kartoffelmieten, zerbrach Fenster, hielt Züge auf, stürzte
Mauern, löschte den Strom, ängstete Tiere und Menschen.
Einigen liegt ihr Lebenswerk in Schutt, einige sind traumatisiert für
immer. Aber wir alle werden anders denken, fortan. So haben die meisten
von uns Naturmacht noch nicht erlebt. Wir bekamen eine Ahnung von dem Monsun
in Bangladesch, der Wassermassen in meterhohen Wellen übers Land treibt;
von den Tornados, deren Saugrüssel Städte zerlegen.
Was ist da der Mensch, reduziert zur Feder im Wind? Ein Hagelschlag
kann ihn fällen. Wenige konnten sicher geschützt dem Stürmen
zusehen wie einer Vorstellung. Helfer gaben Hilfe bis an die Grenzen eigener
Ohnmacht. Nachbarn sprangen bei, banden mit Tau das offenstehende Gatter
der Schafsweide zu, Töchter eilten ins Altenheim, um ihre Mutter und
die Mitgefährten zu beruhigen, Die Feuerwehrleute sägten die
Straßen frei, mit Drehleitern sicherten sie Dächer und Baugerüste.
Und die Rettungssanitäter preschten von einem Notfall zum andern.
Wir können gut schwärmen von der Natur, schenken uns Sträuße,
schmelzen vor Sonnenuntergängen dahin, lassen uns trösten von
Bäumen. Aber die Natur ist nicht nur nährend und harmonisch,
sie ist auch gewaltig, erschreckend, wahllos, raubend, fremd und feindlich,
maßlos, ohne Gedächtnis � und dann rollt die Sonnenscheibe einen
neuen Tag heran und ein laues Windlein geht wie auf Fußspitzen.
Wer im Sturm war � oder davon hörte und sich an seine eigenen
Katastrophen erinnerte � der ist wieder mehr Mensch. Der ist wieder auf
dem Boden, ist geerdet; ist verwundert, noch hiersein zu dürfen, fast
verschont, jedenfalls mit Kraft, das Eigene zum Überleben dazutun
zu können. So ein Sturm rückt einem die Maßstäbe zurecht.
Laß doch McDonalds in weiteren Variationen schwabbelige Brötchen
füllen. Sollen doch in Amerika allein für Fettabsaugen 1123 Millionen
Dollars letztes Jahr ausgegeben worden sein. Und 600 Millionen wurden eben
in den Marssand gesetzt. �
Was zählt ist doch die Liebe, die dem Nächsten beisteht.
Und die Dankbarkeit, mit der wir das Hierseindürfen zitternd genießen.
Gehen wir Geschädigte wieder ans Werk. Bauen wir wieder auf, vielleicht
weniger üppig, dafür stabiler. Pflanzen wir neu, vielleicht weniger
Eichen und mehr Apfelbäume, alte Sorten. Und überdenken wir persönlichen
Energieverbrauch. Und werfen wir einen Kuß gen Himmel für diesen
Tag, wo Ordnung ist und man kann seiner Wege gehen und kommt gut nach Hause.