Traugott Giesen Kolumne 23.10.1999 aus Hamburger Morgenpost
Bitte, besuche, rede, geh wieder hin
Meine doch nicht, daß andere viel für dich tun. Du tust
auch nicht viel für andere. Wann hast du dich wirklich für einen
Nächsten eingesetzt? Gar nicht für einen gebürgt, aber wenigstens
ein gutes Wort eingelegt beim Chef, ihn abwiegelnd interpretiert? Vielleicht
ist es schon viel, daß du keinen ausgenutzt, verhöhnt, geschwächt
hast. Nicht schaden ist schon viel.
Und für dich mußt du schon selbst kämpfen. Für
die Interessen, die du vertrittst, mußt du klar einstehen. Nichts
Verrücktes riskiere, aber du mußt für deins dich mühen.
Du mußt die Bewerbung besser schreiben. Du mußt den Kunden
vielversprechend scheinen. Du mußt viele Wege gehen. Und dich bücken
und noch einmal anrufen. Vorteile müssen sich die von ihrem Ja versprechen,
deren Ja du brauchst. Nicht bestechen; das geht immer nach hinten los.
Du kannst nichts beweisen und dein Gegenüber wird seine Distanz möglicherweise
noch klarer wahren aus Unsicherheit. Nein, nicht bestechen.
Aber müh dich, argumentiere, besorge Beispiele. Tritt fest auf,
mach�s Maul auf, hör bald auf (Martin Luther). Und sag�s bei nächster
Gelegenheit anders noch einmal. Zeig, was daran hängt für dich
und dein Gegenüber. Wenn dein Glück auf dem Spiel steht, dann
mach das deutlich, daß keiner mit Herz nein sagen kann. Und hilf
dem Gegenüber zu gutem Gefühl. Zeig ihm seinen eigenen Vorteil,
die Chance der Klugheit eröffne ihm. Er darf sich nicht für dumm
verkauft fühlen, wenn er dir entgegenkommt. Aber zeig vor allem, was
für dich auf dem Spiel steht, daß dagegen sein Einsatz gering
ist. � Aber Anerkennung und Dank ihn erwartet.
Der andere hat Angst, sein Gesicht zu verlieren, wenn er dir nachgibt.
Also hilf ihm, gut aus der strittigen Sache rauszukommen. Sammle Gefährten.
Und räume eigene Ungeschicklichkeit mit ein, gesteh eine Teilschuld,
dann kann der Stärkere großzügig werden und muß nicht
mehr jeden Meter behalten.
Jesus sagt mal: �Noch auf dem Weg zum Gericht versuch mit deinem Gegner
zu reden.� Ergötz dich nicht an der zweifelhaften Gewißheit,
du würdest dem andern noch mehr Ungemach einbrocken als dir selbst.
Auf dem Weg zum Prozeß ist noch Geld zu sparen, ist der Kompromiß
noch günstig � vielleicht. Aber es ist immer noch einen Versuch wert.
Einmal erzählt Jesus von einem Richter: Der fürchtete weder Gott
noch Mensch; aber die kreischende Frau, als sie denn lange und laut ihre
Unschuld beteuerte, er ließ sie gehen um ihres verdammten Schreiens
willen. Jesus setzt nicht darauf, daß wir uns für andere ein
Bein ausreißen. Aber etwas Güte bringen wir schon zustande,
und sei es auch nur, damit wir wieder unsere Ruhe haben. Darum mach dein
Anliegen deutlich: Bitte, suche, klopfe an, sagt Jesus.