Traugott Giesen Kolumne 14.08.1999 aus Hamburger Morgenpost
Rückblick auf das Sonnenfest
So viele Menschen waren wohl noch nie auf der Straße, um ein
Fest zu feiern. Das ganze Spektakel um die Sonnenfinsternis hat sich schon
gelohnt für diese Offenbarung: Millionen Menschen zeigen ihre Lust
an Zusammensein und Freude. Zeigten auch ihre Beglückung, von höheren
Mächten im Spiel des Lebens gehalten zu sein.
Welch Glück, ein Mensch zu sein � das war die Botschaft diese
Naturschauspieles. Sensationell unselbstverständlich ist Existieren.
Ein großes Klatschen bemächtigte sich der Menschen, als die
Mondscheibe verschoben wurde von den Kräften im All und das Licht
wieder loderte. Ein Augenblick war eine Stille, Nachhall des ersten Schöpfungstages.
Das Schwarz schien so bedrohlich, als könne der Tag nicht zurückfinden
� aber dann das Aufatmen: Wir sahen sie tanzen die Menschen, großen
Dank statteten sie Gott ab oder der Natur oder der Sonne � obwohl die doch
keine Wesen mit Willen sind, sondern nur gehorchendes Funktionieren.
Und noch ein Glück ist zu verzeichnen: Seher wie Nostradamus sind
erst mal wieder abgetan. Und religiöse Exaltierte, die Haltlose verrückt
machen mit Falschmeldungen in Sachen Weltuntergang, haben erst mal Sendepause.
Es scheint, Gott braucht auch noch Zeit, den Laden hier zu bessern und
zu heilen. Und braucht uns noch hier, zum Reparieren und Chancen teilen.
Ein Augenblick zog Kälte durchs Land, die schwarze Sonne schien
den Tod von allem einzuläuten. Doch dann tauchte die Sonne die Welt
wieder in schönstes Licht. Und uns schien das Dasein wieder voller
Verheißung: Und wir schworen uns, bessere Menschen zu werden.
Es war ein Atem anhalten und wieder neu loslegen dürfen. Die Trompeten
des Lichtes schmetterten auch uns zu: Mach was, mach was draus, vor allem
aus dir. Arbeiten, Beten, Schmausen! � mit andern arbeiten, beten, schmausen
� und nicht auf Weltuntergang setzen. Du lebst und kämpfst auch morgen
noch, das solltest du allmählich lernen.
Hege deine Lust, das Auf der-Welt-sein zu preisen. Du darfst leben
als Du, zeig dich dafür erkenntlich. Dazu gehört auch ein Ausrasten,
mal, ein Versagen und Nichtkönnen, ab und an ein Hauch Melancholie,
ja, ein schwarzes Zwinkern der Sonne eben. Uns ist es dann, als hielt das
Universum den Atem an und das Herz der Welt könnte stehenbleiben.
� Aber dann geht die Sonne uns wieder auf, Gottes leuchtendes Pfand. Und
wir dürfen weiter im Text, noch ein Stück mehr Person werden,
mehr wissen, demütiger werden auch. Wir haben uns wieder erkannt als
Ausgelieferte, Angewiesene, Bedürftige, als Vermissende und eben wunderbar
Beschenkte, erleuchtet.