Traugott Giesen Kolumne 19.06.1999 aus Hamburger Morgenpost
Für unser Erkennen gestorben
Ihr Beruf war: Sagen und zeigen was ist. Reporter Gabriel Grüner
und Fotograf Volker Krämer wurden am 13. Juni 1999 gegen 18 Uhr erschossen
auf dem Weg von Prizren nach Skopje. Sie wollten die Anfänge von Frieden
dokumentieren. Sie wollten das Knäuel beschreiben und so uns aufdröseln
das Gewoge der Streitgruppen: Die zwangsweise abziehenden serbischen Militärs
und die jetzt ihres Schutzes beraubten und Rache fürchtenden serbischen
Kosovaren, die aus dem Exil oder den Wäldern zurückströmenden
Kosovo-Albaner mit ihren Militärs, die jetzt Oberwasser haben. Und
dazwischen die Kfor-Soldaten als Ordnungsmacht mit den ihr eigenes Süppchen
kochenden Russen.
Die beiden Reporter wollten uns auch Bilder und Bericht liefern von
der zerreißenden Mühe der Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten,
Racheaktionen zu verhindern. Die Idee des Friedens besagt, daß alle
Kosovaren, bei aller Verschiedenheit, es noch einmal miteinander versuchen
sollten � nachdem der Allmachtanspruch von Milosevic gebrochen war.
Daß der Krieg endet, hängt unmittelbar davon ab, ob die
Welt hinschaut. Aber was hat es an Energie gebraucht, den Jammer im Kosovo
überhaupt erst mal öffentlich zu machen. Wir haben inzwischen
gelernt, daß etwa Kindesmißbrauch nicht durch Verschweigen
aufhört, sondern nur durch Anzeige und Polizei und Strafverfolgung.
Dazu muß das Schweigen gebrochen werden, müssen Augen aufgerissen
werden, muß uns das Entsetzen erreichen. Genau so bei Gewalt zwischen
Menschengruppen.
�Du sollst nicht töten� ist der Menschheit gesagt. Und ich habe
nur Recht auf mein Leben, wenn ich dem Nächsten helfe, sein Leben
zu bewahren. Allein die Journalisten haben mit ihren beharrlichen Berichten
aus dem Kosovo uns übrige Europäer an unsere Nachbarschaftspflicht
erinnert. Und es braucht Bilder von Greuel, daß uns das Blut gefriere,
ehe in uns die Alarmpfeifen gellen. Unsere eigene schäbige kleine
Angst läßt uns oft genug weggucken, wenn der andere unter die
Räuber fällt.
Die Reporter, die aus Kriegs- und Hungergebieten berichten, sind Zeugen
an unserer Statt. Weil sie vor Ort waren, können wir nicht mehr sagen:
Wir haben nichts gewußt. Weil sie vor Gewalt sich nicht duckten,
haben wir anderen uns im letzten Augenblick besonnen und helfen. Alle Rettungstaten
von Kongo, Afghanistan und jetzt im Kosovo haben Menschenfreunde ins Laufen
gebracht mit Hilfe von Reportern. Die wuschen uns die von Werbebildchen
zugekleisterten Augen, sie stimmten unsere Gewissen, sie zeigten uns das
Grauen. Und so blieben wir nicht blöde. Sie klärten uns auf.
Daran sind sie gestorben. Ich rufe ihnen Dank nach und ersehne ihre Teilhabe
an Friedenszeit, auch jenseits von hier.