Traugott Giesen Kolumne 30.04.1999 aus Hamburger Morgenpost
Arbeiten müssen, dürfen, können
Es ist uns an der Wiege nicht gesungen, locker und leicht so durchzurutschen.
Die Bibel, die das Gedächtnis und die Verheißung der Menschheit
bewahrt, hat's erfaßt: "Mit Mühsal sollst du dich vom Acker
nähren, der viel Dornen und Disteln hat; im Schweiße deines
Angesichtes sollst du Adam, Mensch, dein Brot essen. Und köstlich
soll's gewesen sein, das Leben, auch und weil es von Mühe und Arbeit
durchsetzt war."
Arbeiten müssen gehört zu uns. Das haben wir mit aller Kreatur
gemeinsam: Ein ausgewachsener Baum produziert Sauerstoff für zehn
Menschen und filtert pro Jahr bis zu einer Tonne Staub aus der Luft. Und
die Ameisen, was schleppen sie; die Regenwürmer, wie durchlockern
sie den Boden; und die Kaffernbüffel, die Pferde, Esel, Ziegen, was
sind sie den Menschen dienstbar, stumm und ergeben. Zwei Drittel der Menschheit
schuften wie von jeher ums tägliche Brot, leben von der Hand in den
Mund. Und liefern den Mehrwert ihrer Arbeit übers Meer an Unbekannte.
Wir hier dürfen lange lernen, ehe wir unser Auskommen selbst verdienen
müssen. Und haben dann hochgerüstetes Werkzeug und Denkzeug zur
Verfügung und billige Energie, was unser Tun effektiv macht. Immer
weniger Human-Arbeit stellt immer mehr Sachen und Nahrung her. So bleibt
immer mehr Zeit, sich das Leben schön zu machen. Und immer mehr Menschen
arbeiten daran, andere zu unterhalten, zu informieren, zu beherbergen,
bewirten, bespaßen, sie zu schmücken, sie zu bilden. Wir müssen
einander von Nutzen sein. Und das ist der steinige Acker heute: Meine Chance
herausfinden, wie ich andern was bringen kann, damit sie was von dem Ihren
mir abgeben.
Je mehr Arbeit automatisiert wird, desto mehr Zeit bleibt, daß
wir einander erfreuen, fördern, unterhalten können. Und bist
du arbeitslos, ist das dein Muß, deine Arbeit: Die Lücke suchen,
die du füllen kannst. Du mußt nicht zuerst aufs Geld schauen
sondern auf dein Kraft-loswerden-müssen. Wie Kühe gemolken sein
müssen, so mußt auch du gebraucht sein. Sonst fühlst du
dich hier überflüssig. Aber du bist es garantiert nicht. Und
wenn du dich auf die Bank setzt mit einem Schild: "Sagen Sie mir ihr Anliegen.
Ich bete für Sie." Das wäre das Letzte. � Ja, aber es ist viel.
Arbeiten dürfen � was das für ein Glück ist, weiß,
wer wieder an die Arbeit kann nach Krankheit, nach Unfall, nach langem
Suchen. Denk mal an die Stellvertreter, die Platzhalter, die Einfädler,
die Anschieber in deinem Leben. Und Dank für Kolleginnen und Kollegen,
mit denen die Arbeit Hand in Hand geht.
Und das Schönste ist doch das Arbeitenkönnen, welches mir/dir
Zuwachs an Ichlust beschafft. Nicht nur müd soll uns Arbeit machen
sondern etwas leuchtend, etwas weise.