Traugott Giesen Kolumne 03.04.1999 aus Hamburger Morgenpost
Stirb und werde!
Wir haben einen Hang zum Stetigen und Stabilen: Die Ehe soll halten,
die Wohnung soll uns bergen, körperlich wollen wir fit bleiben und
verschont von Überraschungen. Doch wir müssen den Wechsel zulassen.
Alle zwölf Jahre verdoppelt sich das Wissen, alle sieben Jahre ist
jede Körperzelle ersetzt. Die Arbeitsplätze sind in Fluß,
die Moden eilen, manche Variation erfreut.
Wieviel Wandel gab es bei dir in den letzten zehn Jahren, Abschiede,
Neubeginne, Brüche, Siege, Verluste, Zuwachs? Doch letztlich scheint
alles den Bach runter zu gehen, auf lange Sicht sind wir aus und vorbei.
�Ich komm mir mehr und mehr abhanden� � sagte ein Weiser mit Blick in den
Spiegel.
Manchem hilft gegen den Tod das Kreisen der Natur. Der Frühling
macht den Winter vergessen. Die Blüten prangen, es scheint alles wieder
gut. Auch lebt man ja in den Kindern weiter, sagt man. Und was bildet sich
der Mensch denn ein, wenn er ewig gültig sein will. Sollen wir doch
zufrieden sein, daß sowas wie Menschheit bleibt. Der einzelne Baum
fällt, aber der Wald bleibt. Wer den Menschen nur biologisch betrachtet
und ihn für eine besonders spezialisierte Hefesorte hält, dem
ist der Tod banal und kein persönliches Ereignis.
Aber wer liebt, der erhebt den geliebten Menschen ins Einmalige. Wer
liebt, der sieht den Andern als Krone der Schöpfung, als Echo des
Ewigen, als Engel oder Abdruck Gottes. Jedes Kind möchte seinen geliebten
Hund immer bei sich halten; er soll genau so alt werden und mit in den
Himmel gehen, wenn�s sowas gibt.
Daß der Tod Skandal bleibt, ist wichtig. Alles Natürliche
vergeht und verwest � ja gut. Aber wir haben eine kindlich-unüberwindliche
Sehnsucht implantiert bekommen. Wir sind auf Vollendung aus, auf ewige
Liebe, glückende Gemeinschaft, teilen mit allem; wir wollen vollständig
werden, nicht ausgelöscht und vergessen. � Das muß uns bevorstehen.
Ist der Tod tausendmal biologisch nötig für die Vervielfältigung
� und unter diesen irdischen Umständen, was sollte aus uns werden
ohne ihn? Und doch ist er Skandal weil er trennt, zerstört, bestiehlt
und verneint.
Als Jesus umkam am Kreuz, erhob er all die Menschentode zu Fragen nach
Gott. �Warum hast du mich verlassen, Leben, Gott, Sinn, Freude?� werden
wir auch schreien, es sei denn, Entkräftung nimmt uns den Atem.
Doch der Tod wird sich uns als Wegmarke entpuppen, als Enge, die die
Seele, immer den Blick nach vorn und oben, zu passieren hat. Wir werden
befreit, werden gier- und zeitlos, werden versöhnt, werden heil, wenn
Gott ist. Ich setze darauf. Es läßt sich mutiger und solidarischer
leben, mit mehr Aufbruch als Abbruch im Kopf.