Traugott Giesen Kolumne 13.03.1999 aus Hamburger Morgenpost
Wenn einer hinschmeißt
Hat man viel erreicht, ist man vielen wichtig. Geht man dann überraschend,
fühlt sich mancher vor den Kopf gestoßen. Hätte er nicht
kandidiert, hätten man einen andern berufen. So stehen die Wähler
dumm da. Für den man gebürgt hat mit seiner Stimme, der sagt
nach kurzer Zeit �Schluß aus�.
Na so was. Viele sind enttäuscht, sehen sich getäuscht. Aber
mag der Schlußmacher uns auch viel versprochen haben � letztlich
haben die Wählenden ihn mit Verantwortung beladen. Und die haben sich
getäuscht, nicht so sehr er sie. Wir haben ihn mit unserm Zutrauen
aufgebaut und aufgebauscht. Jetzt zeigt er sich dem Druck der Ämter
nicht gewachsen, er konnte nicht zu den neuen Ufern mitreißen, fühlte
sich mißverstanden, gemaßregelt, alleingelassen. Der anfangs
so Hochgemute sah sich im Wirrwarr untergehen. Er reagierte schnell, kam
seiner Niederlage zuvor. Das ist besser als hinhaltendes Aussitzen bis
zur Aushöhlung.
Aber der hinschmeißt, enttäuscht auch. Viele Mitarbeitende
haben sich für ihn eben erst aus andern Positionen losgerissen; jetzt
stehen sie im Regen. Viele haben ihn bis eben verteidigt, haben ihn als
Hort der Verheißung einer gerechteren Welt gleißen sehen �
jetzt erklärt der die Kooperation schon für beendet, die vielen
noch gar nicht angefangen schien. Er enttäuscht sicher, weil er �das
Bohren dicker Bretter mit Geduld und Augenma� (M. Weber) so schnell
aufgibt � wo er der Jugend und überhaupt den langen Weg, die zähe
Geduld abverlangte.
Doch wer es nicht packt, ist auch von sich enttäuscht. Zu Höhen
und Erfolg wird man nur mit viel Ehrgeiz getragen. Und rücksichtslos
gegen sich und andere muß man auch sein, sonst wäre man über
Beleidigungen und Mißverständnisse längst zerbröselt.
Hat er sich überschätzt, das wird er sich fragen. Hätte
er im Dorf der Erste bleiben sollen, statt im Staat der Zweite? Jedenfalls
hat er klargekriegt für sich, wohl auch mit Hilfe seiner Frau: Er
scheint nur zu taugen, wo er die Richtlinien bestimmen kann.
Eine lange Weile noch hätte er einen zerrissenen Zustand mit gerissenen
Gebärden verdecken können, hätte noch Glanznummern und Ungemach
verbreiten können, auch wenn der Triebfaden schon aufgescheuert war.
Daß er schnell ging, ehrt ihn.
Und es ist unser aller Lernstoff: Wir sind sterblich, begrenzt, sind
endlich in den Kräften. Wir dürfen enttäuschen, wir dürfen
sagen: Macht�s gut, macht�s besser, ich kann nicht mehr. � Und wie wahr:
Morgen schon tritt ein neuer in den Ring. Kann sein, daß er weniger
will und damit mehr erreicht. Jedenfalls �mit Gottes Hilfe� Friede dem
Kommenden, Friede dem Gehenden!
Ein Hinweis: Frisch im Buchhandel: Giesens 5. Kolumnenbuch: Carpe
diem � Pflücke den Tag, 32 DM, ISBN 3-87173-181-1, Radius-Verlag