Traugott Giesen Kolumne 20.02.1999 aus Hamburger Morgenpost
Einfach mal weg
Aussteigen, Sabbat haben, Türen zu und weg. Für kleines Geld
geht das schon. Wichtig die Lust, mal zu sich selbst zu kommen und noch
ein anderer zu sein als der Fleißige, Freundliche, immer Präsente.
Neugierig muß man sein, wer man noch so ist. Dazu kann Verfremdung
helfen, eine andere Gegend, ein anderes Land, in anderem Klima, anderem
Bett, mit fremdem Essen, neuen Gebräuchen, anderen Menschen.
Willst du mal wer anderes sein als im Beruf, bei den Nachbarn, in den
Pflichten? Dann überlaß Schlüssel, Stempel, Arbeit, Kunden
den Kollegen. Sie werden dich gut vertreten. Sie werden dir aufheben, was
nur du kannst. Sie werden dir deinen Platz nicht streitig machen, du hast
ja auch sie fair vertreten, als sie vom Platz waren.
Oder hast du einen Menschen in Pflege? Dich bei ihm vertreten zu lassen
ist schwieriger. Vielleicht mußt du lernen zu enttäuschen. Wen
kannst du in die Pflicht nehmen? Wer hatte keine Gelegenheit, pflegend
Gutes zu tun, weil du meintest, unersetzlich zu sein? Wage, dein Recht
zu leben.
Und staune mal über deine Lust, wachen Geistes dir Freude anzutun.
Halte dich für wichtig genug auszuspannen. Sink mal in eine andere
Welt, laß dich gehen.
Raumveränderung erzeugt Vergessen. Sieh dich mal freigesprochen
von Berufsrollen und Standespflichten. Ohne Schreibtisch, ohne Werkzeug,
ohne Notdienst-Ruf bist du einfach nur Du. Hab keine Angst vor der kleinen
Leere. Du gehst dir schon nicht verloren.
Und laß die Zeit gleiten, geh mal ohne Uhr. Du bist wichtig,
auch wenn keiner nach dir verlangt, du niemandem nützt. Laß
die Dinge an dich herankommen. Sie meinen nicht sofort und unabdingbar
dich wie auf der Arbeit. Andere sind zuständig, andere wissen das
Richtige, auch ohne daß du gefragt wirst. Halt mal aus, nicht verantwortlich
zu sein. Das Telefon meint nicht dich, und das Klingeln an der Tür
auch nicht. Und andrerleuts Kinder, die die Tischdecke beschlabbern, mußt
du nicht erziehen. Widme dich deinem Ausruhen.
Und mach, was du gern tust, wozu du aber alltags wenig kommst. Es gibt
nicht nur den Nutzen, es gibt auch Segen. Schönes sehen, Ungewohntes
hören, das langvergessene Instrument wieder spielen, überhaupt
spielen � sich verwandeln zum Kundschafter oder Hobbywinzer, zum Archäologen
oder zur Detektivin � mittels der Rollenvorgaben aus Spielanleitung oder
Lektüre oder mitgereisten Enkeln, wenn es gewährt ist. �Du sollst
Feiertag halten� � ist auch Freispruch für dich. Auch dir steht von
Erhaltungssorge freie, also zweckfreie, sinnvolle Zeit zu.