Traugott Giesen Kolumne 23.01.1999 aus Hamburger Morgenpost
Kinder brauchen alle
Die zukünftigen Generationen werden mit dem zweieinhalbfachen
dessen belastet sein, was wir Jetzigen an öffentlichen Schulden tragen.
Die Lust, Forderungen auf Künftige abzuschieben � wie können
wir sie im Zaum halten? Wie werden wir etwa bereit, den Atom-Müll
umfassend unschädlich jetzt zu entsorgen? Wir sind doch nicht letzte
Station des Lebens. Ekelhaft die Vorstellung, wir fräßen alles
auf. Wir müssen uns für Kinder und deren Zukunft zuständig
wissen. Nicht nur Eltern sollen die Erziehung der Kinder bezahlen, sondern
Kinder brauchen uns alle.
Auch helfen sie uns zu verantwortlichem Dasein. Sie zwingen uns, die
wir gern gegenwartsorientiert genießen, zur Vernunft.
Und an Kindern lernst du. Kinder sind rastlos mit Werden beschäftigt,
sie machen dir Mut, auch was Neues zu wagen. Kinder halten jung. Sie zwingen,
mehr zu überlegen. Man hat schon alles bedacht und entschieden � da
kommen Kinder und fragen, wer die Sonne gemacht hat, oder warum Menschen
sterben � und das Kind wertet und gewichtet deine Antwort und bohrt tiefer.
� Du kommst nicht so billig bei weg mit deinen dir aus dem Mund flutschenden
Erklärungen. Du mußt nachlegen, nachschlagen, kommst selbst
ins Grübeln.
Auch feuern Kinder an, in dir dein Kindliches wieder springen
zu lassen. Sie bringen dir ihr ungeschminktes Selbst. Sie lassen sich herrlich
verwöhnen. Sie machen dich zum großen Schenker und Lenker und
Deuter der Welt. Sie machen dich wertvoll. Du bist gewürdigt, Schrittmacher
für ihr Glück zu sein. Du kannst zu Selbstachtung verhelfen,
daß sie von ihrer Wut loskommen, die ihnen durch erlittene Ohnmacht
eingegeben ist.
Ein Kind ist es, was einen fest an den Boden bindet, was einen nicht
fahrig sondern verläßlich macht, was Bindungen besorgt. Und
sie bringen Junge mit ins Haus, machen auch Ausländer vertraut. Und
das mühevolle Glück, sorgeberechtigt zu sein! Daß ein Mensch
mir, dir Sprache, Wissen, Überblick mit verdankt, ist an Würde
gar nicht auszuschöpfen. Wenn ich sterbe, bleibt etwas, nicht nur
genetisch. Was mir wichtig war, wird zumindest einem Menschen wichtig bleiben
� und wenn es die Achtung vor der Natur ist oder die Freude an Menschenlachen.
Kinder brauchen alle. Alle werden älter und brauchen Jüngere.
Wüchse nichts nach, käme nicht erst nach uns die Sintflut, sondern
mit uns und über uns. Keinen Augenblick dürfen wir Kinder anzweifeln,
sie sind der Fürsorge aller bedürftig. Und Eltern, Väter,
Mütter, Erziehende haben ein Recht auf die Hilfe aller. Wer ein Kind
großzieht, macht Leben haltbar. Kinder verstehen, erfreuen, beschützen
ist Glück und Auftrag. Mit ihnen will ich Schöpfung bewahren.
Ohne Kinder haben wir kein Schicksal.