Traugott Giesen Kolumne 16.01.1999 aus Hamburger Morgenpost
Schützen wir Liebende doch
An die Öffentlichkeit gezerrte Verhältnisse sind ein Jammer.
Der Verrat einer geheimen Liebschaft ist obszön. Was geht mich das
Lieben meines Nächsten an, was entrüste ich mich seines Lebenswandels?
Warum kehre ich nicht vor meiner Tür, sondern stecke meine Nase in
andrer Leuts Zärtlichkeiten.
Was wir an anderen verhöhnen, tun wir selber oder täten es
gern aber haben keine Gelegenheit, oder wir haben andere Vorlieben. Was
richtest du deinen Bruder, sagt Jesus, zieh doch erst den Balken aus deinem
Auge, ehe du dich dem Splitter deines Nächsten widmest.
Gerade in Liebessachen sind wir sehr verletzlich, phantasievoll, bedürftig.
Gerade diese Zone des Menschlichen verschränkt Geist und Körper,
vermischt Sehnsucht mit Bildern und Gelüsten. Wir müssen uns
alle ermahnen, Liebende zu schützen � vor allem durch Wegschauen,
durch Austreten von Gerüchten. Laßt uns dem Gequatsche entgegentreten.
Und werfen wir uns nicht zu Lehrmeistern und Züchtigern auf. �Ich
will einem die Augen öffnen� ist die herrischste Art, Unfrieden zu
stiften.
�Liebe deckt zu�, sagt die Bibel. Und: �Du liebt alles, was ist und
du hast nichts gemacht, gegen das du Haß hättest, Gott, du Freund
des Lebens.� Paulus hat der Christenheit eine ziemliche Abneigung gegen
Liebesfreude aufgepfropft; er meinte, das Miteinander-Schlafen könne
nur hingenommen werden in der Ehe. Und Ehe sei eigentlich nur erträglich
als Konzession an �die, die Brunst leiden�. � Diese Ethik entsprang der
Erwartung des Weltunterganges in den allernächsten Wochen � alles
außer Gebet und Mission galt als Kraftvergeudung.
Aber diese Leibfeindlichkeit ist gotteslästerlich � wir sollten
dem Hohen Lied der Liebe folgen, worin es jauchzt: �Liebe ist stark wie
der Tod und Leidenschaft unwiderstehlich wie der Tod. Ihre Glut ist feurig
und eine Flamme des Herrn.�
Zerrt man aber Liebende ins Scheinwerferlicht, hechelt man die zur
�Sexualpraktik� abgehärmte Zärtlichkeit durch die Zeitung, dann
haben wir das Wunder abgeholzt, die Blüte seziert, die Liebe geschändet.
�Du sollst nicht ehebrechen� � diese Formulierung stammt aus Zeiten,
als Ehebruch die Verletzung von Rechten des Ehemannes durch den Ehebrecher
war. Als Schutzsatz für des andern Ehebesitz ist das Gebot gänzlich
abgetan. Keiner gehört einem. Wir bleiben auch in der Ehe je eigene
Personen, eigenes Rechtssubjekt. Und was wer darf, geht nur die Beteiligten
an. Eigentlich meint das sechste Gebot: �Liebe! Und schütze Ehen.�
Wie aber Freiheit und Verantwortung und Freude zusammenwirken, das muß
gerade mitten in Kirche am meisten noch gelernt werden.