Traugott Giesen Kolumne 05.12.1998 aus Hamburger Morgenpost
Für eine Weihnachtsfeier in der Firma, z. B.
Schon die Anrede ist heikel, aber ich wage es: Liebe Nächste.
Wir haben ein ganzes Jahr miteinander geschafft. Und haben miteinander
fast mehr Zeit verbracht als mit den Unsrigen daheim. Gratulieren wir einander,
daß wir uns ausgehalten haben. Und uns ergänzten, doch Hand
in Hand gearbeitet haben, allermeist effektiv und kollegial. Und was an
Ärger war, an Verletzendem, laßt uns einander Schwamm drüber
tun. Es geschah doch viel mehr Gutes als Schlechtes.
Das ist ein Wunder. Wir haben viel zustande gebracht, erwirkten einen
Mehrwert an Sinn � jedenfalls haben wir den Mitmenschen genutzt. Sie haben
uns gebraucht, sie haben es für vorteilhaft gehalten, wiederzukommen.
Wir konnten anscheinend ihren Wünschen genügen, wir brachten
was zustande, was sie für sich wollten. Und sie gaben uns von ihrem
Kostbaren dafür ab. Sie haben für uns mit ihren Fähigkeiten
gearbeitet, haben uns von ihrem Gewinn was abgegeben, sie waren fair, sie
haben unsere Leistung anerkannt.
So haben wir Beute gemacht, konnten uns und unsere Anvertrauten ernähren,
hatten noch was, um abzugeben. Was ist schöner, als Freude machen,
zum Leben helfen. Jeder hat ein, zwei, hat eine Handvoll Menschen � die
ihm anvertraut sind, und wir mußten nicht enttäuschen. Eigentlich
haben wir � nehmt�s alles nur in allem � dies Jahr gern gelebt: Erstaunlich,
das hinlängliche Vertragen, wunderbar das Wiederkommen der Kräfte
nach gutem Schlaf, dank für Gesundheit oder Genesung � gute Wünsche
sagen wir den heute Verhinderten. Auch ein Gedenken denen, die vorweggenommen
wurden hoffentlich in ein Haus von Licht, ach ja.
Jetzt aber wollen wir es gut haben miteinander. Weihnachten ist das
Ziel des Jahres. Sollte man das Wesen des Lebens beschreiben müssen,
was gäben wir als Logo der Wirklichkeit aus? Geld, Computer, Tschernobil,
Lady Di�s Tod, die Gen-Spindel? Wie zeichneten wir das Geheimherz der Wirklichkeit?
Das Kind in der Futterkrippe, das die Schauenden anstrahlt mit der Gewißheit:
Gut zu leben; gut, Du zu sein � das ist es doch. Im Kern ist die Wirklichkeit
ein Projekt der Liebe und du darfst es mit betreiben. � Dafür ist
das Christkind Signal und jedes Neugeborene ihm nach: Das Leben ist doch
gut.
So sind auch diese Stunden jetzt ein Stück Frieden. Nehmen wir
ihn in Gebrauch, tauschen wir einander Persönliches, ein Hauch Freundschaft
wird gelingen. Einfach es gut sein lassen jetzt, hier und sich zu erkennen
geben ein Stück mehr. Ein paar Stunden gemeinsam lachen, essen, trinken,
klönen, Wünsche erzählen � einander bestätigen: Gut,
daß du da bist. Das wär doch viel, wäre ein Stück
Weihnachten. Auf uns alle.