Traugott Giesen Kolumne
11.07.1998 aus Hamburger Morgenpost
Verlieren können
Neben der Niederlage auf dem Spielfeld gab es noch eine andere. Die
Deutschen haben redlich gekämpft, haben leider auch fast die meisten
Fouls produziert, sie schieden auf ihrem derzeitigen Niveau aus, gar nichts
gegen zu sagen. Warum auch sollen wir die besseren Fußballer sein,
die Europameisterschaft 96 war doch schon mehr Gnade vor Recht; und eben
1990 noch Weltmeister � jetzt waren einfach andere dran. Jeder mit Augen
im Kopf hat gesehen, daß die Brasilianer zauberten und die Holländer
noch genial waren manchmal, die Franzosen begeisterter, die Kroaten einsatzfreudiger.
Aber als �wir� ausschieden, hat der Bundestrainer den Knüppel
der niedermachenden Kritik gezogen. Beleidigt, hochnäsig, belehrend
stellte er die Deutschen als Opfer dar: der Schiedsrichter sei schuld gewesen
� es klang so, als wären wir guten Deutschen vom Rest der Welt schlecht
behandelt. Da sah ich wirklich pur, was die Nachbarn Deutschlands uns vorwerfen:
diese Verbissenheit, diese Besserwisserei, dies Gewalttätige, Prinzipielle.
Der Bundestrainer hatte Selbstzerstörerisches im Blick � als riefe
er im nächsten Augenblick zum Rachefeldzug auf. Für ihn war kein
Spiel zu Ende gegangen, sondern ein Krieg war verloren. Andere Trainer
konnten einander gratulieren, Herr Vogt floh vor der ungeliebten Welt.
Er mag ein fitter Turnlehrer sein, aber die Größe und Grandezza,
sich mitzufreuen am Spiel an sich, die hat er nicht.
Vielleicht kränkt mich diese bärbeißige Härte,
weil ich selbst Angst habe, kein guter Verlierer zu sein. Das wär�s
doch: Die anderen als Mitbewerber um die Gunst des Lebens zu sehen, und
wir können durchaus die Güter vermehren durch gemeinsames Mühen
und Besserwerden. Statt dessen das Aufschneiden, sich in den Vordergrund
schieben, die Zuarbeit anderer nicht erwähnen, mit Anerkennung geizen,
der Erfolgreichste sein müssen �.
Warum soll ich, du am erfolgreichsten sein? Reicht es nicht, einen
auskömmlichen Anteil zu haben? Dies Raffen, Schinden, Vorfahrt nehmen,
dies Erzwingen der Parklücke, dies Wegschauen bei Fehlern im Verkehr,
statt die um Verzeihung bittende Hand zu heben. Auch dies Über-den-Mund-fahren,
dies Geizen bei Trinkgeld oder Kirchensteuer, dies sich ins Fäustchen
lachen, wenn man sich drücken konnte. Als hätte ich ein Anrecht
auf beste Werte und Gesundheit und Liebe, auf mehr Gemochtsein. Und wo
bleibt mein Respekt, meine Menschenfreundlichkeit? Warum meine ich, entweder
Hammer oder Amboß sein zu müssen? Es ist doch ein Geben und
Nehmen, Gelten und Geltenlassen. Mal Hammer, mal Amboß, mal Material
sein � mal dienen, mal sich bedienen lassen. Und müssen wir Deutschen
uns Feinde machen, immer wieder, weil wir der Freude nicht trauen, nur
der Maloche?