Traugott Giesen Kolumne 04.07.1998 aus Hamburger Morgenpost
Buddhismus � Am Fremden sich erkennen
Die Religionen sind Dialekte des Ewigen für uns Vorübergehende,
und alle haben Wichtiges zu sagen.
Ursache allen Übels und Leidens sei unser selbstsüchtiges
Begehren; erst, wenn wir nichts mehr wollen, dann seien wir ganz und in
der Liebe, sagt die weise Religion des Ostens. Das Begehren einstellen,
empfehle sich auch, weil es höchstens vorübergehenden Genuß
besorgt: �Man kann sich an keiner Wasserwelle festhalten.�
Aber die Freude hier ist doch Lichtblick, ich will dankbar schon genießen.
Auch sind wir von Hoffnung ausgespannt, wir sind doch ein Ich, das sich
entfalten soll, das Zuwachs haben soll an Wegerfahrung. Du, ich, hochwichtig:
Wie jedes Kind seinen Eltern einmalig, wunderbar ist, so individuell und
persönlich ist jeder Mensch für das Herz der Welt. � Das Bild
von der Menschheitsfamilie liegt dem Christentum näher als der Lebensbaum,
dem wir nur Blätter sind für je ein Jahr.
Der Buddhismus denkt vom Einzelnen sehr bescheidend. Besitz einer unsterblichen
Seele könnte arrogant machen � was ja passiert, wenn etwa Tiere als
Sachen abgetan werden. Gefragt, was denn mein Ich ewig wichtig mache, kann
ich nur sagen: Gott will ewig mit uns reden � das macht unsterblich. Unser
Ich ist ansonsten einem Samenkorn gleich, das sich verströmen muß,
um zu bleiben; Jesus sagt das so: Nur das Korn, das sich als Samen hingibt,
wird viele. Wer sich für sich erhalten will, der vertrocknet.
Neidische Blicke sammeln, Attraktivsein vorzeigen � der Sog nach Anerkennung
macht uns ganz meschugge, aushäusig, hohl, erschöpft, weil abhängig
von und gierig nach Beifall. Der asiatische Weise scheint in sich zu ruhen
und spiegelt eine lichtvolle geistige Präsenz, die nicht an den Dingen
haftet. Da will und muß ich lernen, zur Ruhe zu finden, die ja auch
in mir ist.
Das Karma guter und böser Werke, der Fluch, immer neue Wiedergeburten
durchleben zu müssen zur Besserung � hat einen Reiz. Die Unterschiede
von Glück und Unglück werden geschoben auf Schuld oder Güte
in vorigen Leben. Grauslich daran ist mir, daß der Leidende Ausbader
von Vergangenem ist. Und weil der Jetzige Fortsetzung Damaliger ist � ist
er auch Verursacher seiner Misere, als wäre doch jeder seines Glückes,
seines Unglückes Schmied. Da ist mir die christliche Vision lieber,
daß Leid getragen werden muß, und die ganze Schöpfung
noch Erlösung braucht, und wir zu verantwortetem Handeln berufen sind,
und wir Gottes und der Mitkreatur Geschick mit in Händen haben.
Das Nirwana als �das Unvergleichliche, das ganz Andere und unvergleichlich
Schönere� muß nicht weit weg sein vom bilderlosen Gott. Aber
ich bin froh, persönlich gemeint zu sein: �Kennt auch mich und hat
mich lieb� � das stärkt mich und dich.