Traugott Giesen Kolumne 20.06.1998 aus Hamburger Morgenpost
Rangehen, vom Leib halten
Ein Psycho � Spiel könnte heißen: "Die Nähe, die
ich brauche". � Es geht so: Menschen stellen sich gegenüber und
schauen sich an und loten aus, wie nah sie den andern haben möchten.
Das ist natürlich nur die eine Seite der Münze. Die Kehrseite
ist, wie weit der andere mich vom Leib halten will. Man darf nicht reden,
nur die Aura des andern erspüren, ein Zwiegespräch der Blicke
und Gesten kann beginnen, man darf sich berühren, wenn es denn den
beiden paßt. Und es kann sein, daß sie sich nur umstreichen
in weiter werdenden Ringen � bis sie ganz sich aus den Augen lassen � hoffentlich
finden beide ihren interessanten Menschen.
Das ganze Leben ist ein Nähe � und Distanzspiel, ein ziemlich ernstes,
es geht oft um alles oder nichts. Nähe bis zur Belästigung, bis
zum Gefressenwerden und Ferne bis zu Isolation und Eiseskälte � dazwischen
liegt ein schmaler Streifen bewohnbares Land der Menschenfreundschaft.
Da wirst du gemocht, da kann man dich riechen, da läßt man dich
rein, da mußt du nicht erklären, wer du bist, da vertraust du.
Manche locken an, ihre Haut würde man gern berühren, ihren
Atem täte man gern im Nacken fühlen, ihre Stimme bohrt nicht
sondern redet von innen.
Du bist auch für ein, zwei Menschen oder mehr � ein Rückhalt
Wie die vertrauten Stimmen der Eltern das Kind ruhig schlafen lassen �
so bist du für einige da, und weil du da bist, haben andere Halt.
�
Ja, es trennen uns Ebenen � viel müßte erklärt werden,
verschieden sind Humor und die Bilder der Freude; es trennen uns Abgründe,
das andere Geschlecht, die ander Erfahrung. � Aber Abgründe können
mit Mut übersprungen werden, Ebenen sind langwierig. Die Liebe findet
über sieben Brücken. Manchmal ist es so: Auf einmal steht das
Glück neben dir.
Es ist eine Kunst, langsam sich vertraut zu werden. Die Annäherung
sollte schrittweise geschehen � füttern wir einander doch erst mal
an, schnappen nicht sofort zu, scheuen nicht, sondern schauen, wie was,
ob was wächst � ob die Lust auf Gemeinschaft, mehr wird. Dazu muß
man öfter zurücktreten, einhalten, sich vergewissern � Antwort
abwarten. Die langfristige, geduldige Näherung macht weniger Verletzte
als das Erobern im Sturm.
Die Reichweite meiner Freiheit endet spätestens an deiner Nase.
Wir sollten nur nach ausdrücklicher Einladung näher kommen.,
auch verbal; zu fix ist des andern Spielraums total verengt und Panik ist
los. Schon das Anbuffen an des andern Stoßstange kann des Nächsten
Selbst erschüttern und ihn zum Schläger machen. Hüten wir
uns voreinander hüten wir einander, lassen wir doch verschiedene Nähe
� Distanzgeflechte zu. Klopfen wir an, auch in der Liebe.