Traugott Giesen Kolumne 13.06.1998 aus Hamburger Morgenpost
Hand in Hand
Als wir den neugeborenen Enkel sahen, schien ein neuer Schöpfungstag
erfunden. Was ist die Geburt eines neuen Sterns gegen das zur-Welt-kommen
eines Kindes? Sein Fühlen, sein Schauen, sein Erfahren wird einmalig
sein. Sein Weltbild wird ein Original sein. Uraufgeführt wird mit
ihm ein neuer Grund, das Leben zu preisen. Allein sein Greifen wäre
eine Geschichte für sich � seine Hände als Hauptdarsteller in
einer unendlichen Geschichte von Fassen und Lassen und Halten und Lösen
und Streicheln und Zwingen.
Die so voll ausgebildeten Hände mit den winzigen, wunderschönen
Fingernägeln schauen aus den ersten Kleidern seines Lebens. Die Arme
rudern nach Halt, dann wieder liegen sie aufgefaltet da. Die Großelternhand
schiebt sich darunter, nimmt Maß: Pranke an Blättchen � klein
und schon vollkommen.
Die Hände greifen die Brust, die nährende Mutter, Wärme
an Wärme, Haut an Haut. Versprechen sind beide einander: Brauchen,
Gebrauchtwerden ist in eins geflochten. Ein Leben lang wird man weiter
suchen: den andern fühlen, sich am andern fühlen; ein Ganzes
bilden, Seite an Seite, wie Puzzleteile, die passen.
Die Hände suchen den Mund, der Mund sucht die Hände, den Nuckel
� in Gang ist das Bemerken der Hände als zu dir gehörend, erstes
Herrsein wird an den Händen gelernt � sie gehorchen dir.
Das Greifen bringt Begreifen; das Tuch ist weich, der Gitterstab hart,
es sind mehrere Stäbe, vorne, hinten, Raum wird greifbar. Haben und
Halten fühlt sich gut an, mehrt mich; etwas geht verloren, ich stehe
mit leeren Händen da � Leben ist suchen; oder doch eher finden? Oder
Gebenkönnen? Mutter, Vater freuen sich � ich kann erfreuen; ich greife
in ihr Gesicht, bis einer �Aua" schreit; Ich kann auch wehtun und
finstere Augen machen.
Und den Händen wird entwunden, was spitz und scharf ist; die Hände
lernen streicheln und kneten und ziehen und kratzen und malen und schneiden
und knöpfen, an/ausmachen und schreiben, lernen arbeiten und beten
und handeln, behandeln. Hände halten auf Distanz, schieben weg, können
kratzen und hauen.
Vor allem: Hände halten. Unsere Vorfahren auf den Bäumen hielten
sich am Bauchfell der Mütter fest Darum wohl das sofortige Zugreifen,
wenn ein Finger sich in die kleine Hand schiebt. Und lange, immer wieder
die Hand der Großen halten und gehalten werden, sichere Schritte
tun, zugehören, mit Freunden eine Kette bilden. Und die Hand geben,
auf gute Nachbarschaft. Und heimlich Hände drücken, Hand-in-Hand
spazieren. Und wenn�s gewährt ist: �Reich mir die Hand mein Leben�,
bis später dann der Zurückbleibende dem Schongehenden ein Kreuz
auf die Stirn streift als Pfand: Wir bleiben in der großen Hand,
die alles Fallen, Fallen hält.