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Traugott Giesen Kolumne 18.04.1998 aus Hamburger Morgenpost

Kinder und Gewalt

Fast alle Kinder, die zu Gewalttätern wurden, haben zu Hause Gewalt als ein übliches Mittel des Umgangs zwischen Menschen kennengelernt. Jedes elfte Kind wird körperlich mißhandelt, jedes siebte Kind erlebt Eltern, die sich verprügeln. Bald drei Stunden sitzen die Kinder vor Fernsehen oder Videos. Mit gefährlichen Leitbildern werden viele Kinderseelen getränkt; Horror, Lärm, ungehörtes Schreien gilt als normal.

Die Wirklichkeit wird vielen dargestellt als Entweder-Oder: Opfer oder Täter, Unterlegener oder Haudrauf, Hammer oder Amboß. Viele erleben sich als erniedrigt, gescholten, verdroschen, verachtet, als �über�. Sie lernen, sich klein zu machen, um Übermächtige nicht zu reizen. Sie müssen sich aber noch Kleinere suchen, um Frust weiterzugeben. Sie sehen, wie Große ihr Starksein prahlerisch genießen, wie sie noch Spaß haben am Wimmern des Unterlegenen. Oft müssen sie zusehen, wie ein von ihnen geliebter Mensch gequält wird, hilflos müssen sie Zeuge sein und spielen das Endlich-sich-Rächen-können heimlich durch.

Sie sehen keine andere Chance, was darzustellen, als bald die Körperkraft des Erwachsenen zu erlangen. Oft sind ja auch die Drangsalierer unsichtbar: Die sich dem Sorgerecht entziehen oder auf dem Amt Mutter warten lassen oder die Miete erhöhen, oder die das große Geld haben und in den Villen leben, die im Fernsehen so üblich sind. Da baut sich früh ein Traumbild auf: denen zeig ich es; all die Rächer der verlorenen Ehre im Film besorgen ja ihre Selbstachtung mit der Maschinenpistole und dem gepanzerten Jeep, der zwanzig Streifenwagen in dutt fährt. Bis man die richtige Größe hat, übt mancher in einer Kinder-Gang, Tyrann zu spielen, und es klappt ziemlich oft.

Was hilft ist nur, daß Kinder geliebt werden. Das kann man nicht anordnen aber es fördern. Also Eltern helfen, daß sie ihren Alltag bestehen und nicht Verzweiflung sie befällt; daß sie eine vernünftige Wohnung haben mit eigenem Kinderzimmer, daß sie nicht Kinder sich selbst überlassen mit TV als Babysitter. Bieten wir Nachbarschaftshilfe an, nehmen den Schwierigen mit an unsern Tisch, machen mit ihm Schulaufgaben, gehen mit ihm zum Fußball, und wenn es zur Belohnung ist für Verzicht auf Gewalt.

Wir müssen kapieren, was für eine Leistung das Heranwachsen ist. Kinder müssen sich ein Weltbild erschaffen, müssen von allem lernen, was es bedeutet. Früh werden sie gezeichnet von �haste was, dann biste was�. Dagegen ihnen Achtung zollen, sie anerkennen, ihnen früh Freiheit einräumen, zu wählen und die Konsequenzen zu spüren bekommen. Zeigen, daß einem an ihm liegt, weil er er ist, dieser junge Mensch. Gewalt ist doch Hilflosigkeit. Insgesamt kriegen wir nur zurück, was wir schuldig blieben.


 




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