Traugott Giesen Kolumne 10.01.1998 aus Hamburger Morgenpost
Was macht ein Enkel mit einem?
Ihr seht Großelternfreuden entgegen � lautet die Nachricht. Sie
löst Jubel aus. So was wie tiefe Befriedigung kommt über einen:
Das Leben geht weiter, man kann gut mal das Leben sein lassen, die nächsten
Glieder werden von Gott geschmiedet, die Kette reicht ins nächste
Jahrtausend. � Wenn sich bei den eigenen Kinder, zumal im richtigen Alter
und mit verläßlichen Gefährten, Nachwuchs einstellt, dann
kann das nur entzücken. Die man selbst großgezogen hat, empfehlen
das Menschsein weiter, und segnen auf eine versteckte Weise ihre Eltern:
Lebensmut haben sie wohl von ihrem Herkunftzuhause mitgenommen. Auch scheinen
sie die eigene Kindheit als zufriedenstellend in Erinnerung zu haben, so
daß sie so Ähnliches auch neuen Wesen angedeihen lassen wollen.
Aber das ist mehr die Theorie. � Wie Großelternsein praktisch
aussieht, muß man sehen. Kinder der Kinder sind ja ein bißchen
auch unsere Kinder. Die werdenden Eltern deuten schon an, sie würden
das Großelternamt intensiv in Anspruch nehmen. Sie scheinen nicht
zu fürchten, daß wir die Kleinen uns aneignen. Im Gegenteil
wittern sie Zögern, fragen skeptisch, ob wir uns nicht etwas bedeckt
hielten; sie wollen energische und tatkräftige Mitfreude.
Es gibt ja auch bei Großeltern solche und solche. Die einen teilen
ihr Dasein in die Zeit vor den Enkeln und die mit Enkeln � �da fingen wir
ein neues Leben an�. Anderen reicht mal ein Besuch.
Sicher verwandeln einen Kinder. Durchs Mutter/Vatersein wird man erwachsen,
verantwortlich, verpflichtet, wird lebenswichtig zum ersten und entscheidenden
Mal. Enkel verwandeln wohl anders: Wir entdecken das Kind von einst in
uns. Der bedürftige, angstvolle, freudejauchzende, in reiner Gegenwart
daseiende Enkel ist angewiesen auf mich � sofort will ich ihm alles Gute
geben, es verwöhnen und drücken, mit ihm spielen und kuscheln
� die Welt scheint uns Großen oft so garstig und ungerecht, davor
wollen wir die Kleinen schützen. Und ich könnte mich in einer
Art Wiederholung finden � dann werde ich dem Kindlein erstatten, was möglicherweise
mir selbst man schuldig blieb.
Da wir aber alle zu wenig Liebe bekommen (und geben), kann es sein,
daß man sein Enkelkind überschüttet mit Verwöhnen,
um sich unbewußt damit selbst zu entschädigen für alte
Wunden. Dann dient man sich den Kleinen als �die Allerliebsten� an � und
merkt nicht das Rivalisieren mit den eigenen Kindern.
Man sagt ja, daß Opa und Oma nur lieben müssen; erziehen
dagegen machen Vater und Mutter. Aber das geht überhaupt nicht. Schon
weil die Nerven auch der Alten mal geschont sein wollen, und jeder Einfluß
erzieht. Wichtig wird, die Eltern maßvoll zu ergänzen, wenn
sie es erbitten, und möglichst nach ihren Maßstäben. Wie
alles Wichtige im Leben: Auch Opa/Omasein muß man lernen.