Traugott Giesen Kolumne 18.10.1997 aus Hamburger Morgenpost
Ein eigener Mensch werden � das dauert
�Ich komme mir vor wie ein Sack voll mit Lego-Steinen. Wenn man ihn
ausschüttet, ist alles da, um ein Haus zu bauen: Menschen, Häuser,
Straßen, Rathaus, Blumen, Bäume und natürlich eine Kirche.
Alles da, aber mir fehlt der Architekt, eine Zeichnung, ein Maurer. Irgendeiner,
der mein Rathaus aus dem Brunnen zieht und auf den Marktplatz stellt. Ich
liebe Beziehungen, aber dafür muß ich vorher mir selber glücken.�
� Eine Frau um vierzig sprach so ähnlich in einer Runde.
In langen Gesprächen lernte sie dann, ihren Traum vom Prinzen abzublenden;
der war ja die Fortsetzungsgeschichte vom kleinen Mädchen, das an
die Hand genommen werden muß, das den guten Vater braucht und Brüder,
die ihre Angelegenheiten regeln, wenn sie denn überhaupt eigene hat.
Der Traum vom Architekten wollte die liebe Mutti der Kindheit weiterspinnen;
die kam im engen häuslichen Bereich klar, das Konstruktive überließ
sie den Männern. � Und darum suchte sie auch für ihr Lebensschiffchen
einen Kapitän, für ihre Wünsche den Architekten. Der sollte
sie endlich zur Frau, zum vollständigen Menschen mit gültigem
Schicksal machen.
Aber nach Durchmustern ihrer Männerfreundschaften fand sie, daß
die Herren alle mehr oder weniger Prahler, Vielversprecher oder �Mutterbettler�
(Elias Canetti) seien, � selber klarer Weisungen bedürftig. Sie suchen
die Frau aber mehr als Mutter, bei der sie �der Älteste� bleiben dürfen.
Trifft nun großer Junge kleines Mädchen, dann müssen beide
erst mal für sich erwachsen werden, dann erst sollten sie sich wieder
suchen. Dann kann der Mann auch die begabte, intelligente, phantasievolle
Frau schätzen und fühlt sich nicht mehr verunsichert durch einen
wachen Menschen an seiner Seite.
Auf so einen wartet sie jetzt gelassen: Denn sie ist gewachsen. Sie
raffte sich auf, ihre eigene Kraft zu suchen, ihr eigenes Starksein zu
entdecken.
Sie glaubt als ihren Wesenskern: Das Leben will mich, es speist mich
mit Bestätigung: gut, daß Du bist. Ihre Seele lernt neu, daß
sie starke Tochter Gottes ist mit guter Bodenhaftung. Mit diesem Bewußtsein
schaut sie dem Nächsten ins Angesicht, pflückt sich aus den Augen
der Mitmenschen Gewißheit zu taugen und steckt sie mit Lebensmut
an. Sie will einfach unenttäuschbar glauben an das Gute bei sich selbst
und anderen. Und sie hält sich für verantwortlich dafür,
daß aus dem �Grabbelsack Leben� ihr Bekömmliches widerfährt
und andern auch. Sie hat sich besonnen: �Wer, wenn nicht ich selbst, soll
mich denn lieben!� � Und so lernt sie, immer kompetenter für sich
zu werden; spürt immer besser und früher, was ihr nützt
und was ihr schadet. � So verliebt sie sich auch immer weniger in die Falschen;
sie genießt Menschen, genießt sich mit Menschen und teilt aus
wie es kommt; Sie läßt es sich gut sein, endlich.