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Kolumne 3. September 2005

Traugott Giesen Kolumne 03.09.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Kinder sind ein Schatz

Natürlich muß die Gesellschaft kinderfreundlicher werden. Aber ich kann keinen verstehen, der mutwillig sich als Vater oder Mutter verweigert. Vielleicht hält er sich nicht für geeignet genug, eine nächste Generation mit großzuziehen. Aber seine Eltern waren auch nicht besser. Und hast du es bereut, gezeugt, geboren zu sein? Du bist doch noch kräftig am Leben, also ist ein Vorwurf an die Erzeuger doch dummes Zeug, ist jedenfalls nicht so stark wie dein am Leben hängen.

Wie kannst du mutwillig dich zur Sackgasse erklären, und das Sein mit dir amputieren und auslaufen lassen. Du kannst nicht im ernst meinen, du seiest der Sinn der Entwicklung, in dir sei die Schöpfung an ihr Ziel gekommen. Du kannst nicht das Lebendige der Menschheit bei dir versickern und vertrocknen lassen. Die Gene, die du trägst, sind weitergebenswert, oder bist du vom Chaos verschluckt? Deine Persönlichkeit ist einzigartig, deine Erfahrungen sind Originale, deine Freudefähigkeit ist doch kostbar- glaub das. Und verweigere dich nicht. Gott, das Herz der Welt braucht dich.

Es ist doch das Beste überhaupt, für einen Menschen an seiner Seite zu sorgen; ihm von dir mitgeben, was es zum Selbstständigwerden braucht. In wen willst du denn deine Hingabelust investieren, für wen willst du da sein? Sieh deine Eltern. Wenn Du nicht wärest, was wären sie dann. Was hätten Sie zu bereden, was wäre ihr Stolz, was wäre ihr gemeinsames Thema? Über wen sie sich auch die Haare raufen und doch auf seinen Anruf warten? Kinder sind der Ernstfall. Ihretwegen wäre “nach mir die Sintflut“ Sünde. Sie wollen, daß wir uns anständig benehmen, sie wollen, daß wir vor ihren Kameraden einen guten Eindruck machen. Sie bewahren uns vor Fiesheit gegen den Partner und schmieren uns das mit zweierlei Maß Messen gehörig aufs Brot. Kinder machen uns zu besseren Menschen. Also los.

Natürlich soll man nicht mutwillig auf den andern Elternteil verzichten. Kinder haben ein recht auf mindestens zwei. Darum auch möglichst Geschwister: Damit es nicht kleine Prinzen und Monster werden, sondern sich schon gegenseitig zeigen, wo es lang geht.

Vielleicht hast du aber kein Gegenüber gefunden, mit dem du ein Drittes ins gemeinsame Leben hättest rufen können. Dann such dir Kinder von nebenan, biete dich an als Babysitter, als Nachhilfelehrer, als Pate, als Freund auf Zeit. Die Überforderung viele Alleinstehender ist ein Jammer- was hast du Mensch alleine denn, wenn du nur deine Unabhängigkeit bewachst? Nimm dich der Kinder an und sieh, wie sie begreifen und zu ihrem Vorteil zu unterscheiden wissen. Lass dich durch ungeahnte Selbstprüfungen führen. Partiell weißt du, daß du belogen wirst, doch wahr sind die Lügen auch, sie sind die Wahrheit unserer Kindheit (H. Brodkey): Du lernst dich kennen, wenn du Kinder in deine Nähe lässt. Du wirst einfach menschlicher und mit Zukunft an deiner Seite wirst du jünger.


 




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