Kolumne 20. August 2005
Traugott Giesen Kolumne 20.08.2005 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Ein wunderbarer Mensch ist tot
Frère Roger ist tot. Der Gründer der Oekumenischen Gemeinschaft
von Taizé in Burgund war zugleich auch das Herz dieses internationalen
Freundschaftstreffens. In einer Baracken- und Zeltstadt finden zehntausend
Jugendliche Woche für Woche zusammen. Zu drei Andachten über den
Tag, zu Bibelarbeiten, Gruppengesprächen, Gebeten, Beratung, Schweigen
und Liedübungen versammeln die hundert Brüder, unterstützt
von vielen Helfern, die Gemeinde. Eindrücklich sind die beiden Kirchen
von Taizé - einmal die spätromanische Dorfkirche, dann die Tausende
fassende Betonkirche, schmucklos, funktional, man hockt auf Nadelfilz, nur
die Mönche sitzen inmitten auf harten Stühlen. Die Kirche, an der
Frontseite in strahlendes orangefarbenes Leuchten getaucht, liegt ansonsten
in beruhigendem Dunkel.
Neben dem Meditationszentrum in Burgund hat die Bruderschaft Niederlassungen
an den Brennpunkten der Erde. Große Treffen am Jahresende versammeln
Unzählige in der jeweiligen Metropole eines Landes. Der vorige Papst
hatte eine schöne Freundschaft zu Roger Schütz. Er nannte bei einem
Besuch auf den Hügeln nahe Cluny die Brüderschaft einen "kleinen
Frühling der Kirche".
Roger war ursprünglich reformierter, also protestantischer Pastor, legte
aber Wert auf Frieden mit Rom. In Ehrung aller Unterschiedlichkeit wird das
Gemeinsame gestaltet. Auch zu den orthodoxen Kirchen suchte er Nähe,
er gehört zu den großen Türöffnern für die Länder
im Osten Europas. Alle Lesungen werden in mehreren Sprachen dargeboten. Bei
den Bibelarbeiten wird locker kreuz und quer übersetzt. Die
Taizé-Lieder haben ganz wenig Text und gehen sofort zu Herzen, sie
werden fast endlos gesungen und einige haben sogar Eingang ins Kirchengesangbuch
gefunden.
Das Wesen des Christentums ist für Taizé die Liebe Gottes, und
die vom Bruder Christus angeleitete Geschwisterlichkeit der Christen zugute
der Menschheit. Die Mönche ernähren sich aus eigener Hände
und Köpfe Arbeit, Spenden und Erbschaften lehnen sie ab. Sie sollen
am Jahresende einen Kassensturz machen und sich aller etwaigen
Überschüsse entledigen. Sie betrachten sich als Pilger in der Zeit,
verzichten auf persönliches Eigentum, sie bleiben ehelos und geloben
Gehorsam ihrem Prior, der wiederum betont: "Einer - Christus - ist unser
Meister, wir aber sind alle Brüder."
Roger war ein durchgeistigter, von Grund auf fröhlicher Mensch. Seine
Gebete und Bibelauslegungen stärkten enorm, man weiß sich durch
seine Anleitung gut aufgehoben im Glauben. Gerade junge Leute, die zu Hause
mit ihrer Kirche Schwierigkeiten haben, ließen sich von ihm mit schlichten
Worten die Welt erklären.
Das ist nun vorbei. Ihn traf ein absurdes Ende. Ein Mensch hat ihn beim Gebet
von hinten erstochen. Vielleicht ist es ein zerrissener friedloser Mensch,
der sich bedroht sah von der Grundgüte dieses wunderbaren Menschenbruders.
Durch den gewaltsamen Tod wird Roger seinem Herrn Jesus noch einen Hauch
ähnlicher. Möge er sehen, wie er geglaubt hat.