Kolumne 6. August 2005
Traugott Giesen Kolumne 06.08.2005 "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Mal ein Staunen über all das Können
Da kraucht ein Astronaut im Weltraum und pult aus den Fugen Isolierzeug,
das da nicht hingehört. Ob es was nützt, wird man nie genau wissen.
Denn wenn die Discovery heil landet, ist dieser Schnipsel vergessen. Passiert
jedoch wieder eine Katastrophe, dann kann die Nasa wenigstens sagen, sie
habe doch alles versucht. Aber gewaltig ist der kleine Handgriff im großen
All auf jeden Fall. Überhaupt, was schaffen die Menschen mit ihren
Händen, mit ihren vom Kopf so wunderbar gesteuerten Urwerkzeugen?
Nur einer ist noch erstaunlicher: Der Große Ganze, Gott genannt, der
sich dies wunderbare Menschlein mit seinen wunderbaren Händen hat einfallen
lassen. Klar, daß die Vorfahren ihn selbst als Handwerker sahen. "Er
formte den Menschen aus Lehm und blies ihm seinen Atem ein" - fast zärtlich
modellierte er den Prototypen Mensch - so stellten es die alten Maler dar.
Der erste Auftrag an seine Geschöpfe war dann auch, "den Garten zu bebauen
und zu bewahren" - mitgesetzt war damit Tun und Lassen, Machen und Halten,
auch das Ansichhalten, das Verschonen. Spätere Generationen spitzten
den Auftrag zu: "Macht euch die Erde untertan!" Das ruft den "homo faber"
ans Werk, den rastlos Tätigen, den Veränderer und Bezwinger, der
eine bessere Welt seinen Kindern hinterlassen will, und doch Gefahr
heraufbeschwört.
Des Menschen Geschicklichkeit ist herrlich. Die Kunstfertigen können
Schönheit bannen in Stein und Farbe, in Töne, Holz und Stahl. Welch
Instrumente hat der Mensch sich zugelegt, von Waffen bis Orgeln und Kamerafahrten
durch den Magen. Was haben die Hände, wenn sie einmal zur Ruhe kommen,
alles berührt, gefaßt, getragen, zubereitet, geschrieben, geputzt,
gepflanzt, gezählt, gebettet, gestreichelt. Dürer hat die Hände
seiner Mutter gemalt - ein Denkmal, auch, daß das Händefalten
nach getaner Arbeit eigentlich eine natürliche Handbewegung ist.
Wie konzentriert auf die Hände unser Tun ist, zeigt auch das Wort
"Handlung": Die ist einmal der Ort, wo sich Handel abspielt. Man sieht
förmlich, wie eine Hand was in die Hand des andern gibt, der wieder
was in dessen Hand zählt. "Handlung" steht sogar für den Inhalt
des Geschehens überhaupt und "Verhandlungen" beschreiben das Wesen der
Politik. Selbst Worte, wenn sie was taugen sollen, müssen Hand und Fuß
haben. Und wenn wir einem Glück wünschen, kann sich das zusammenziehen
auf: "Dir allezeit eine glückliche Hand".
Geht einem länger nichts von der Hand, braucht man eine Fee, einen Engel,
der mit einem was anfängt. Oliver Sacks erzählt in seinem Buch
"Der Tag an dem mein Bein fortging" wie er mit zerschmettertem Bein nach
langem Krankenlager wieder auf die Füße gebracht wurde. "Das ist
unmöglich, das kann ich mir nicht vorstellen, niemals!" sagt der Patient
zur Therapeutin. Und die sagt: "Sie brauchen es sich auch gar nicht vorstellen.
Sie brauchen es nur zu tun."