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Kolumne 2. April 2005

Traugott Giesen Kolumne 02.04.2005 aus "Die Welt" Ausgabe Hamburg

Verzicht bringt Freiheit, Freiheit bringt Kampfkraft

Das Leben ruft uns zu, daß wir verzichten müssen, sagt Goethe. Da sind die Einschränkungen des Körpers durch Altern, Zurückstufung oder Pensionierung mindern Bedeutung; Freundschaften werden hohl, Lieben gehen verloren, Geldquellen versickern, Kunden orientieren sich um, Geisteskraft läßt nach. Es hat doch alles seine Zeit. So manches Defizit gehört zur Bilanz des Lebens. Es ist an uns, das Unvermeidliche mit guter Miene hinzunehmen. Doch eine ganze Liste von Verzichten eröffnet neue Räume.

Den Partner, der meint, sein Glück liege ganz woanders, den laß ziehen - feiert noch ein Dankfest, dann gedenkt seiner schmerzlich und großmütig. Und wenn man schon um einer neuen Liebe willen meint, verlassen zu müssen, dann muß der Zurückbleibende großzügig abgefunden werden. Der Frieden nach rückwärts hilft dem Neuen. Hat man einen Rechtsstreit, versuche man - so rät es Jesus - sich noch auf dem Weg zum Gericht mit dem Gegner zu einigen. Ist man nicht mehr wohlgelitten, geh von selbst. Ehe man sich sagen läßt, man werde nicht mehr gebraucht - bist du so beweglich, selbst Adieu zu sagen. Hat man seine Schulden offenbart und hat endlich gesagt: ja, ich stehe mit leeren Händen da, kann nach Entsetzen und Enttäuschung ein neuer Weg eingeschlagen werden. Und die bisher Nutznießer waren, müssen selber ran. Und können es auch. Gerade Kinder, die schon viel zu lange leichtes Spiel hatten, werden jetzt notgedrungen erwachsen. Und wie viel Wohnraum braucht der Mensch? Wenn ich mich trennte von allem, was ich ein Jahr nicht angefaßt, getragen, angesehen habe - von wieviel wäre ich frei? Wieviel Weihnachtskarten und Geburtstagsbriefe werd ich nicht mehr schreiben, wenn ich nur die noch schreibe, die ich gern schreibe? Hast du dir Luft verschafft von Pflichten, die letztlich für die Katz sind, dann wird dir neue Kampfkraft zuwachsen. Du wirst mit Lust dich mühen für Freude. Du wirst dir guttun, und manche werden gut davon haben. Schaffe für das eigene gute Empfinden. Werde dir gerecht. Dann wirst du dankbar und genießbar und hast Lust, von deinem Überschuß abzugeben. Verzichten lernen auf Obenansitzen, auf Lob und Schulterklopfen - einfach einer unter anderen sein wollen, guter Nachbar, der hilft, wenn man ihn bittet; und wenn du nicht zuerst gegrüßt sein willst, sondern lieber eher grüßt, und wenn du endlich einverstanden bist, du willst nicht mehr geliebt sein, als du selbst liebst - dann gratuliere dir zu viel neu gewonnener Freiheit - sie beschafft dir neue Kampfkraft für dir Wichtiges. Entsagen und Resignieren kann nah am Verkümmern sein. Aber aus selbst gewolltem Verzicht kannst du Gewinn draus ziehen. Was du von dir wegräumst, was du von dir entfernt hast, das öffnet dir Raum. Und du wirst Lust haben, dir neues Glück zu erkämpfen.


 




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