Kolumne 13. November 2004 -
Trauer macht stark und Du wachse
Traugott Giesen Kolumne 13.11.2004 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Trauer macht stark und Du wachse
Himmel und Erde
von Traugott Giesen
"Es gibt nichts, was uns die Abwesenheit eines geliebten Menschen ersetzen kann. Je schöner und voller die Erinnerung, desto härter die Trennung, aber die Dankbarkeit schenkt in der Trauer eine stille Freude. Man trägt das vergangene Schöne wie ein kostbares Geschenk in sich", so sagte es Dietrich Bonhoeffer.
Wenn das Gehen mit dem geliebten Menschen durch dick und dünn endet, das Mit-ihm-sein und das Mit-ihm-älter-und-alt-werden fehlen, dann höhlt einen das innen aus. Sein weiteres Werden nicht mehr begleiten zu können ist schwer. Und noch schwerer wohl ist das eigene weitere Werden, ohne ihn als Zeugen und Helfer. Man war sich doch Lebensgesprächspartner, Lachgeselle, Kumpan - mit dem man das Brot teilte, Gefährte - mit dem man die Gefahr teilte, Genosse - mit dem man Freude und Leid durchfuhr. Man war sich doch die andere Hälfte, bei allem Mühsamen als Paar; man war einander Widerlager, zwischen euch schnurrte der Faden des Lebens. Und dann ging einer, und weniger als die Hälfte blieb zurück.
Es dauert lange, bis die Wunde zuwächst. Und gezeichnet bleibt man immer. Auch wenn noch einmal anders Liebe gelingt, bleibt man immer auch der, der mit diesem Menschen lange Phasen Person wurde. Die Fotos werden immer ein Stück heile Welt zeigen, die auch bestand und leuchtend bleibt, gerade um der Mühen willen, aus denen das damalige Glück erkämpft war.
Trauer ist langwierig. Sie ist erst mal schwarz, nur schwarz; dann tritt ein Dunkelviolett hinzu, Erdfarben auch, später gewinnt der Trauerrand einen Regenbogen - hoffentlich. Die völlige Leere kann nicht ewig dauern, das Leben packt zu. Es spült einem Möglichkeiten vor die Füße, es kann ein herrenloser Hund sein oder ein zugelaufener Mensch, man muß sich wieder kümmern, sonst verkümmert man. Trauer schwächt sich ab. Und es bleibt ein unbestimmtes Empfinden von Vermissen. Und immer wieder mal steht der Mensch klar vor einem, im Traum oder bei parallelen Erfahrungen. Es klingt nach, manchmal dröhnt auch nach, was er gesagt hat. Aber erstaunlich, er bleibt in seinem Alter, bleibt zurück.
Ist es so, daß im Verlust eines geliebten Wesens für uns die Welt zusammenbricht? Dann gibt es keine Gesellschaft, die unser Vergessen und unsere Tatkraft ganz notwendig braucht? Dann lebten wir mit dem Anderen als Zweierzelle im Gegenüber zum Rest der Welt - ein Schrumpfleben, ohne Familie, ohne Freundeskreis und gepflegte Nachbarschaft. Klar, daß dann auch der Glaube an den Himmel voller Liebe keinen Trost verschafft.
Aber wir waren uns doch anvertraut auf Zeit. "Bis daß der Tod uns scheidet" stand schon in den Hochzeitspapieren. Wenn es schön war, wird Dank alles Entbehren überdauern. So geh reich um alles Erfahrene weiter. Du mußt noch mehr du selbst werden, offensichtlich ohne ihn. Du wirst keinen Ersatz finden, aber Stellvertretende doch. Bau an deinem Netz. In Wehmut und Dankgefühl laß eingehüllt, was war und seine Zeit hatte. Du aber wachse und werde noch ein bißchen, verknüpfe, befreunde, lache, bete, mach Frieden.