Kolumne 26. Juni 2004
Traugott Giesen Kolumne 26.06.2004 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Es ist doch nur ein Spiel - Hinfallen ist nicht schlimm
Die hängenden Gesichter, die Tränen, die Enttäuschung. Dabei
hat die deutsche Mannschaft gegeben, was sie konnte. Doch das war nicht genug.
Andere waren spielfreudiger, gewitzter, zäher, stärker; eben besser.
Lass fahren dahin. Neuer Tag und neues Glück. Wir hatten auch das
Weiterkommen nicht verdient. Die anderen waren begeistert, wir nur fleißig;
wir waren nur tüchtig, die anderen genial.
Es war auch nicht unsere nationale Stunde, wie etwa 1954 oder nach der
Wiedervereinigung. Die Tschechen dagegen erleben sich jetzt in Europa und
zeigen es uns Deutschen, nachdem wir vieles ihnen vorgeführt haben.
Jetzt sind halt andere dran. "Unsere" müssen noch mal in die Schule
des Fußballs gehen. Die alten Spieler sollten mit abtreten. Einige
Jungen sind viel versprechend, es ist ein Anfang.
"Geschlagen ziehen wir nach Hause... die Enkel fechten es besser aus"- das
knorrige Landsknechtlied trifft auch auf andere Felder zu. Lassen wir die
Enkel ran, wenn sie sich denn zeigen. Hinfallen ist nicht schlimm, aber liegen
bleiben. Scheitern ist für sich genommen noch nicht katastrophal. Es
zeigt den Irrweg, man war auf dem Holzweg. Dabei haben die Holzwege große
Vorteile, wenn man ihr Holz sammelt, also Erfahrung auswertet und ummünzt.
Niederlagen helfen, von anderen zu lernen und Kräfte neu zu ordnen.
Erfolg hat seine Würde. An einer Leistung beteiligt sein, hat Glanz.
Der sportliche Wettkampf erregt die Gemüter: Spielbegeisterte, selbst
wenn nur von der Tribüne oder vom Fernseher aus, sind wie verwandelt.
Aber das wahre Leben spielt auf dem Feld des Alltäglichen, die wahren
Schlachten werden geschlagen, um Termine von Familie und Arbeit auf einen
Nenner zu bringen, die wahre Mühe macht, zurechtzukommen mit mir und
den Nächsten. Enttäuschung verarbeiten, meine Grenzen achten aber
die Begabungen auch ausgeben, gebraucht werden wollen und mich immer wieder
anbieten auf dem Markt der Möglichkeiten - das ist das Leben.
Schön, für ein paar Tage, ein Parallelleben zu führen an der
Seite hoch bezahlter Fußballer und etwas nationale Verwandtschaft zu
wittern; auch darf eine Prise Schadenfreude dabei sein, wenn das gegnerische
Foul bitter geahndet wird. Aber jetzt ist es auch gut. Und wieder Zeit für
die eigenen Mühen. Ob die deutsche Mannschaft Erfolg hat, hielt die
Nation in Atem. Aber ob du, ich, ob wir Erfolg haben, ist viel wichtiger.
Wir haben Mitverantwortung fürs Leben, und ob du, ich mit unserer kleinen
Kraft Gutes vorwärts bringen, da hängt viel von ab. Aus Liebe und
Handeln Sinn schöpfen, mit möglichst wenig Dünkel, das
wär's. Man kann auch einem Ball hinterher rennen nach festen Regeln,
die Spielräume eröffnen, und so sich und andere unterhalten. Hauptsache
aber, du findest dein Gutes und Schönes, das du möglicher machst.
Dieses Spiel läuft noch; spiel es mit Lust.