Kolumne 07. Februar 2004 - Not lindern, gern schenken und glücklicher
werden - Kolumne
Traugott Giesen Kolumne 07.02.2004 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Not lindern, gern schenken und glücklicher werden
Viel nehmen und wenig geben scheint das Gesetz des Erfolges. Doch ist es
ratsam, dass man miteinander im Geschäft bleibt; Verlässlichkeit,
Kulanz, Fairness sind kostbar. Doch treue Beziehungen werden seltener, alle
gucken mehr auf den Preis. Viele haben auch gelernt und gut nachgeahmt, der
Markt ist global geworden, per Computer kann man sich jederzeit von jeder
Firma schnell deren Preise beschaffen. Das drückt auch die Erlöse.
Es geht schon die Angst um, dass der Hunger auf Niedrigpreise und Rabatte
immer mehr schöne Läden hinwegfegt, die Vielfalt wird schrumpfen
und die Innenstädte veröden.
Andererseits steht jedem zu, seine Arbeitskraft so teuer wie möglich
anzubieten. Aus meiner Arbeit viel für mich rausholen, kann ich entweder
durch bessere Arbeit - mittels besserer Kenntnisse, hilfreicherer Werkzeuge
oder effektiverem Zeiteinsatz - oder aber durch günstigeres
Ausgabeverhalten. Kann ich den Gewinn der Arbeit nicht vermehren, muss ich
umso dringender die Ausgaben vermindern, muss sparen, muss geizen, wo
möglich. Entweder mehr einnehmen oder weniger ausgeben - also am besten
beides.
Mehr und mehr Menschen geraten in Not. Sie können weder hinzu verdienen,
noch an den Ausgaben sparen. Die Schuldenfalle tut ihr Übriges. Vor
allem viele allein Erziehende und kinderreiche Familien sind arm dran. Da
tut das Gebrüll vom Geiz, der geil sei, richtig weh. Denn was haben,
um es teilen zu können mit anderen - das gehört zur Menschlichkeit.
Geizen müssen mit jedem Cent, das macht krank.
Wenn Wohlhabende sich einen Spaß daraus machen, beim Discounter ein
paar Euros einzubehalten, sollen sie doch; aber wenn sie in der Kirche an
der Kollekte für Brot für die Welt knausern oder das Trinkgeld
eben nicht an ihren Möglichkeiten bemessen, sondern kniepig sind bis
zur Verachtung, dann geht Lebensfreundschaft stückweise verloren.
Vielleicht sind die Manager mit den hohen Abfindungen wirklich nur zu bedauern
- statt Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen zum Blühen
zu bringen, die mehr Menschen in Arbeit bringen, nehmen sie Menschen ihre
Arbeitsplätze weg, weil diese mit den alten Produkten nicht mehr genug
Geld einbringen. Dass einer Millionen dafür bekommt, wenn er die Firma
kostbarer macht durch Rationalisierung und Personaleinsparung, das ist
Marktwirtschaft. Wenn er die Hälfte der Millionen freiwillig zuschlagen
würde der vergleichsweise mageren Abfindung der Entlassenen, das wäre
Herzensglanz - was hindert nur den Mann?
Es ist im Großen, was ich im Kleinen auch mache: Meine große
Wohnung räume ich nicht, mein Auto verleihe ich nicht, meine Arbeitsstelle
teile ich nicht. Ich muss auch noch lernen, mir genügen zu lassen am
Nötigen, und das Eigentum an Freiheit, an Freude, an Freundschaft
hochzuschätzen. Bevorzugung zurückweisen, Privilegien
zurückgeben, Not lindern, gern schenken - damit würde ich meinen
Geiz und meine Gier bremsen. Und letztlich glücklicher werden.