Kolumne 03. Januar 2004 - Taizé - Ein Frühling des christlichen
Glaubens
Traugott Giesen Kolumne 03.01.2004 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Taizé - Ein Frühling des christlichen Glaubens
Seit Ende der fünfziger Jahre kommen Jugendliche für eine Woche
auf den Hügel des Dörfchens Taizé. Nah bei Cluny, im
französischen Burgund gelegen, gibt es eine achthundert Jahre alte Kirche,
die lange leer stand. Einst war sie mit wohl zehntausend anderen Kirchen
binnen einer Generation über ganz Europa hingestreut als wie vom Himmel
gefallen - so mitreißend hatte das Reformchristentum, ausgehend von
Cluny, die mittelalterlichen Menschen mit neuem Lebensmut missioniert.
Roger Schütz, einst reformierter Pastor, knüpft an diesen Elan
an - es ist Heiliger Geist versprochen allen denen, die nach ihm verlangen.
Bruder Roger, inzwischen 88 Jahre jung, tut, was er immer tat: Er lädt
junge Menschen zu sich auf die sanften Hügel zur Communauté von
Taizé - etwa 110 Männer führen ein intensives brüderliches
Zusammenleben mit harter Arbeit. Es ist ihre Leidenschaft, sich durch Keramik,
Schmuck, Holzarbeiten und Schriften selbst zu ernähren; Spenden und
Erbschaften lehnen sie ab. Was am Jahresende über ist, wird an selbst
betriebene Hilfsprojekte verteilt.
Menschen aus vielen Ländern leben eine Woche auf schlichte Weise zusammen,
im Sommer ergänzen riesige Zelte die Baracken mit Doppelstockbetten.
Kaffee gibt es in Plastikschalen: Heißwasser in Kanistern, Instantkaffee,
Kakao und Milchpulver stehen da, ein Portiönchen Butter und Marmelade
oder Käse und duftendes Baguette morgens und abends, mittags ein
sättigender Eintopf - und man wartet in langen Schlangen und redet und
redet miteinander.
Drei Mal ist Andacht in der schlichten Betonkirche, man sitzt auf dem
filzbezogenen Boden in gedämpftem Licht, vorn eine in Orange gehaltene
Altarlandschaft mit vielen Kerzen und Lämpchen und einer Christusikone,
an der Seite eine Marienikone. Alles ist konzentriert auf die beruhigenden
einzeiligen vierstimmigen Endloslieder, mit denen man sich in eine gesteigerte
geistige Wachheit singen kann, biblische Texte werden verlesen, immer in
mehreren Sprachen. Mit tausend Menschen eine Viertelstunde schweigen in einer
beredten Stille, das kenne ich nur von hier und schaffe es auch nur hier.
Dazu täglich eine Bibeleinführung von einem der Brüder, auch
mehrsprachig, und zu den Seiten hin das verschieden Gedolmetschte, je nach
Besucherandrang. Sicher die Hälfte der Besucher - im Sommer bis zu
siebentausend gleichzeitig, kommen aus Deutschland.
Das Geheimnis von Taizé ist sein Glaube an die geschwisterliche Menschheit
unter dem einen Gott und seinem Hirten Jesus Christus. Es wird in Kleingruppen
autonom sich ausgetauscht, intellektuelle Rechthaberei ist verpönt,
praktische Glaubenserfahrung wird ausgetauscht. Manche jungen Christen erleben
hier ihre erste unbefangene Frömmigkeit, Gebete kommen leicht aus den
Herzen. Es ist ein großes Freundschaftsnetz, das geknüpft wird
zwischen Völkern und Generationen, die Jahrestreffen in den
Hauptstädten, jetzt eben in Hamburg, wecken Kirche auf, hoffentlich.