Kolumne 29. November 2003 - Hilf, dass Kirche bleibt
Traugott Giesen Kolumne 29.11.2003 aus "Die Welt" Ausgabe
Hamburg
Hilf, dass Kirche bleibt
Kirche ist Lebensmittel, ohne sie ist es wie ohne Frühling oder ohne
Musik. Kirche steht ein für Freude, Lebensmut, Vergebung und neuen Anfang;
ja, dass unser Leben "Ende offen" ist. "Noch am Grabe pflanzt er die Hoffnung
auf" - es ist doch so, jedenfalls für deinen liebsten Menschen erbittest
du ewige Liebe. Und wer gibt dafür die Sprache, wer stützt deinen
Glauben, wer betet für dich mit? Das ist doch Kirche, Gemeinschaft der
Heiligen rund um die Erde - und du gehörst dazu.
Du hältst dich doch für gottverwandt. Gegen Demütigungen und
Schläge siehst du dein Selbstbewusstsein wurzeln in einer großen
Gottesgewissheit. Du hältst dich für geliebt und gebraucht - nicht
nur von Vater, Mutter oder deinem Hund. Auch siehst du dich mitarbeiten an
der Kostbarkeit, namens Leben. Du siehst dich verwoben in ein heiliges Werk.
Warum sonst arbeitest du denn so viel; viel mehr als du bezahlt bekommst?
Doch weil du selbst an einen fleißigen Gott glaubst; der sich müht
um seine Welt, und du kannst mit zum Guten wirken.
Du bist fromm genug, um Kirche mit zu bilden, Volk Gottes, lebensdankbar,
mitverantwortlich, antizynisch, unverbittert. Du hast eine Melodie in dir,
die dich aufrichtet und andere auch. Du bist ein Lichtblick, Salz der Erde,
eine gute Investition ins Leben. Und weißt doch, wer dich beatmet,
wer "dich erhält, wie es dir selbst gefällt" - mehr oder weniger.
Jedenfalls verdankst du dich, verdankst Bewahrung und hinreichende Gesundheit
und Arbeit und Geschick, glückliche Umstände und Trost. Kirche
weiß auch für dich die Adresse für Dank und Klage. Und sie
schützt vor Götzendienst, du klopfst dir jedenfalls nicht selbst
auf die Schulter und schuldest keiner irdischen Instanz Unterwerfung.
Sicher hast du keine Lust, jeden Sonntag zur Kirche zu gehen. Aber dass
Gottesdienst gehalten wird, ist gut. Auch ist dir nicht das Hafenkonzert
oder die Bundesliga Krönung der Gefühle. Dass gegen Zerstreuung
und Verrücktwerden Kräfte stehen, die Halt geben in den Wogen des
Ungewissen, das brauchst du doch auch. Du willst doch, dass es wahr ist:
"Von guten Mächten wunderbar geborgen, erwarten wir getrost, was kommen
mag: Gott ist bei uns am Abend und am Morgen und ganz gewiss an jedem neuen
Tag." Ist es dir wahr, dann sag es weiter. Du musst nicht gleich selbst Pastor,
Pastorin werden - hauptberufliche Bürgen für Gott - aber dass es
welche in deiner Nähe gibt, dafür sorge mit.
Einer sagte mal, er könne sich von seiner Kirchensteuer einen eigenen
Pfarrer leisten, da gratulierte ich ihm und riet ihm, dies Geld doch als
Erntedank zu nehmen für all die Schicksalsgunst; und dass er nicht Pastor
sein muss, sondern sich einen halten kann, das sollte ihn erfreuen.
Inzwischen wird es schmerzlich ernst um die Kirche. Zu viele schon sind
ausgetreten, um Geld zu sparen, und - wenn du dabei warst - was hat es dir
genützt? Und brauchen wirklich die Erben, was du der Kirche abspartest?
Alles hat seine Zeit, auch das Wiedereintreten. Bitte bleib, oder komm wieder.